Viele Autisten berichten darüber, dass sie für ihre Umwelt quasi unsichtbar sind. So mancher fühlt sich da doppelt bestraft. Zum einen sieht man einem Autisten die Behinderung auf den ersten Blick nur in seltenen Fällen an. Das führt zum Effekt des „Stell Dich mal nicht so an“ der einen Autisten unheimlich belasten kann. Zum anderen jedoch, und da muss man sich schon fragen woran das liegt, werden viele Autisten in ihrer Umwelt kaum bis gar nicht wahrgenommen. Manchmal scheint es als würden sie nicht existieren. Kann man sich nicht vorstellen? Ist aber so. Ich versuche das mal anhand einiger Beispiele zu erklären.

Tarnkappe auf

Mir selbst ist es schon sehr oft so gegangen: Man stellt sich irgendwo an, wartet brav bis man an der Reihe ist. Und was passiert? Keiner bemerkt einen. Sei es an der Frischfischtheke im Nachbarort, am Tresen von einem Facharzt oder einfach nur bei einem sozialen Anlass. Wirklich unlustig wird es dann, wenn man sich bemerkbar macht und das dann als freches „Vordrängeln“ von der Umwelt quittiert wird. An meiner rein optischen und körperlichen Erscheinung kann es eigentlich nicht liegen. Ich bin zwar nicht groß, aber das was mir in der Größe an Zentimetern fehlt mache ich locker mit meiner Breite wieder wett. Wer mich also physisch nicht sieht sollte mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine Telefonzelle oder einen Baum übersehen und mit dem Auto umfahren können. Aber warum übersieht man mich dann? Warum werden die Begleiter von Autisten sofort und oftmals auch direkt als solche wahrgenommen, die Autisten an sich aber nicht? Haben wir Autisten eine Tarnkappe auf ohne dass wir es bemerken? Sind wir zu wenig präsent? Oder ziehen wir uns autismusbedingt schon so automatisch zurück, dass wir möglichst wenig in der Umwelt auffallen? Ich vermute es ist eine Mischung aus allem. Anscheinend sind wir durch das Tragen der Masken und die Versuche uns unserer Umwelt und der Gesellschaft anzupassen schon so perfekt im Abtauchen, dass wir wirklich auch physisch fast verschwinden. Wir verhalten uns unauffällig. Und wer nicht auffällt wird übersehen. Das zeigt doch wieder einmal, wie automatisiert wir uns in unserer Umgebung verhalten und verbiegen ohne dass wir es selbst richtig wahrnehmen. Wie kommt es sonst dazu, dass wir einerseits um möglichst wenige Probleme zu bekommen übersehen werden wollen, andererseits aber an Stellen wo man uns wahrnehmen soll nicht auftauchen? Vielleicht ist es einfach auch nur die fehlende Achtsamkeit der anderen Menschen. Autisten nehmen soviel wahr und laufen sensorisch ständig auf Hochtouren. Vielleicht erwarten wir dann auch von allen anderen automatisch, dass sie eben niemanden übersehen.

Unscheinbar

Neben dem physisch übersehen werden, man gewöhnt sich im Laufe der Zeit einfach daran, gibt es noch eine andere Form der Nichtbeachtung. Eine die schmerzt. Wenn Leistungen übersehen werden oder man schlichtweg emotional nicht bemerkt wird oder auftaucht. Bei mir zieht sich das irgendwie wie ein roter Faden durchs Leben. Sei es der Lehrer der fragt wo ich denn bleibe obwohl ich pünktlich vor Ort und längst anwesend war. Oder der Direktor der, warum auch immer, beim Abitur und der Zeugnisübergabe zu mir meinte: „Haben Sie es nun auch endlich geschafft?“. Ich sollte anmerken: Sitzengeblieben bin ich nie. Mich ärgert es z.B. heute noch, dass ich in meinem Diplomstudium mit einem Kommilitonen in eine Schublade gesteckt wurde der mir per Zufall ähnlich sah. Zumindest von der Frisur und dem Körperbau her. Kleiner aber feiner Unterschied: Ich war erfolgreich, er brach ab. Es mag kein böser Wille gewesen sein, aber ich frage mich heute noch: Hat man meine Leistung damals nicht wahrgenommen? Oder warum steckte man mich mit dem besagten Kommilitonen in eine fachliche Schublade? Ich könnte die Liste wohl noch unendlich weiter führen, eines bleibt allen Ereignissen gleich: Es schmerzt wenn man zwar körperlich wahrgenommen wird, die Wahrnehmung für die Leistung und den Menschen hinter dem Körper aber anscheinend komplett fehlt.

Hin und Hergerissen

Letztendlich ist man als Autist hin- und hergerissen. Man möchte oftmals und ganz bewusst so wenig wie möglich auffallen und aus der Masse hervorstechen. Alleine schon um zusätzlichen Stress zu vermeiden. Auf der anderen Seite machen wir das aber wohl so gut, dass wir im Alltag gerne mal übersehen werden. Besonders dann, wenn wir eigentlich mal beachtet werden möchten. Vielleicht ist es auch die innere Haltung die da nach außen dringt. Wenn ich einfach nur zielgerichtet zu einem Punkt gehe weichen mir die Menschen aus. Fast schon als hätten sie Angst vor mir. Dabei möchte ich ja nur von Punkt A zu Punkt B gehen. Schwimme ich mit, werde ich übersehen. In beiden Fälle ist es die gleiche Person, aber mit vollkommen unterschiedlicher Außenwirkung. Das Umschalten zwischen: „Hier möchte ich gesehen werden“ und „Ich bin nicht da“ ist unheimlich schwer und wahrscheinlich können das Nichtautisten nur schwer nachvollziehen. Für sie ist das Verhalten in der Gesellschaft ja oftmals vollkommen intuitiv. Die wenigstens dürften sich wirklich und bewusst Gedanken darum machen, ob und wie sie sich nun in der Gesellschaft und bei sozialen Anlässen zu verhalten haben. Sie machen es einfach. Autisten hingegen tragen immer eine Maske. Sie versuchen sich anzupassen um nicht aufzufallen. Anzupassen um selbst möglichst stressfrei durch den Alltag zu gehen. Vielleicht so manches Mal zu perfekt?