Eigentlich fehlen mir die Worte. Ich blogge trotzdem, was ich heute früh erlebt habe ist unter aller Sau (bitte verzeiht diese Ausdrucksweise) und macht mich wütend.

Alles fing heute früh mit einem Hinweis auf einen Tweet an:

Ein Tweet in dem gefordert wird "Autisten ins Gas"

Der Tweet spricht sicher für sich und kann in meinen Augen auch weder als Scherz oder unüberlegter Streich abgetan werden. Hier wird öffentlich gefordert das Autisten vergast gehören. Ich finde es schlimm das solche Aussagen mittlerweile anscheinend Salonfähig geworden sind und es als harmlos angesehen wird das Minderheiten, Religionen, Menschen mit einer Behinderung oder einfach nur andersdenkende schlicht vergast gehören. Das hatten wir schon einmal und aus Geschichte sollte man lernen.

Also auf zum Twitterformular um den Account und den Tweet zu melden. Was hier schon auffällt: Was Twitter alles wissen möchte damit man sowas melden kann ist schon sehr umfangreich. Alleine das schreckt schon einige User ab so eine Meldung abzugeben. Aber ich will dass sowas sanktioniert wird und habe die Meldung dann auch abgeschickt.

Was kam als Reaktion? Ein netter und automatischer Hinweis von Twitter:

„Vielen Dank für Ihre Meldung. Meldungen über Belästigungen werden vom Twitter Trust & Safety Team nur geprüft, wenn:   1) Sie unmittelbar betroffen sind ODER 2) Sie rechtlich dazu autorisiert sind, die Belästigung im Namen der belästigten Person zu melden.    Mit dieser Richtlinie soll sichergestellt werden, dass wir in direktem Kontakt mit der Person stehen, die Missbrauch oder Belästigung erfahren hat. Auf diese Weise haben wir die Möglichkeit, gegebenenfalls zusätzliche Informationen und Kontext anzufordern. Nach den von Ihnen vorgelegten Informationen erfüllt Ihre Meldung keines der oben genannten Kriterien und wurde daher nicht geprüft.“

Ok, ich hatte tatsächlich vergessen anzugeben das ich selbst Autist und daher unmittelbar von dem verbalen Dünnschiss betroffen bin. Aber ist das in so einem Fall wirklich notwendig?

Weiter heißt es:

„Wenn Sie denken, dass Sie dazu berechtigt sind, im Namen der Person zu handeln, die Missbrauch oder Belästigung erfahren hat, erstellen Sie über das Formular für missbräuchliche Nutzer eine neue Support-Anfrage und geben Sie diese Antwort in Ihrer Meldung an.“

Wenn ich also denke dass ich berechtigt bin für mich als Autist zu handeln soll ich nochmal eine Meldung abschicken? Auf die dann wieder die gleiche automatische Antwort kommt? Was für ein Blödsinn ist das denn? Zum einen kann das jeder denken (und wird er dann mehr beachtet?), zum anderen: Muss man berechtigt dazu sein sich für andere Menschen einzusetzen? Und wie kann man das in den Augen von Twitter sein?

Aber weiter in der Email von Twitter:

Wenn Sie glauben, dass die von Ihnen gemeldeten Inhalte oder Verhaltensweisen gemäß Ihrer lokalen Rechtsprechung strafbar sind, antworten Sie auf diese E-Mail mit zusätzlichen Informationen zu den Gesetzen, gegen die sie möglicherweise verstoßen. Nur so können wir mit der Prüfung des Sachverhalts beginnen.“

Eigentlich müsste ich nun dankbar dafür sein das ich, als offentsichtlich nicht persönlich von diesem Hetztweet betroffener und auch nicht zum Protest berechtigter Mensch, doch noch etwas ausrichten kann. Ich soll also auf Gesetze und §en hinweisen das dieser Tweet in Deutschland womöglich strafbar ist? Bin ich Jurist? Habe ich Ahnung vom komplexen Rechtssystem in diesem Lande? Anscheinend billigt man bei Twitter nur juristisch erfahrenen und belesenen Menschen das Recht zu sich über absolut untragbare Inhalte zu beschweren. Nun gut, wozu hat man denn Twitter, ich fragte einfach meine Follower nach entsprechenden Hinweisen. Twitter macht es sich hier recht einfach: Sie können hier jede Anfrage praktisch ablehnen wenn falsche Paragrafen aufgeführt werden. Es wird sich wegen § 130 StGB (Volksverhetzung) beschwert? Sehen wir anders, Account und Tweet bleiben. Ende der Bearbeitung. Ich frage mich: Beschäftigt Twitter für jedes Land mindestens einen Juristen der entscheiden kann ob eine Beschwerde und die angeführten Paragrafen wirklich berechtigt sind? Oder liegt es am Sachbearbeiter zu entscheiden: „Jo klingt gut: Accountban“ bzw. „Nay der soll sich mal nicht so aufregen“?

Aktuell steht noch eine Reaktion seitens Twitter aus, der Tweet wurde vom User gelöscht, der Account besteht weiterhin. Der Vorfall ist damit sicher noch nicht beendet.

Ich kann aber zwei Dinge jetzt schon mit Sicherheit sagen:

Sich bei Twitter gegen Hetze und nazionalsozialistisch geprägtes Gedankengut zu wehren ist fast unmöglich. Jedem der sich beschweren möchte werden unzählige Steine in den Weg gelegt. Ich finde das ist ein unerträglicher Zustand in den heutigen Zeiten. Zumal ein Eingreifen seitens Twitter leicht wäre.

Die andere Erkenntnis ist folgende: Mit ein bisschen gesundem Menschenverstand bei der Ticketbearbeitung hätte sich das Problem innerhalb weniger Minuten lösen lassen können. Es muss eigentlich jedem Menschen klar sein: Die Aussage das Menschen vergast werden sollen ist ein NoGo! Euthanasie ist ein unbeschreibliches Verbrechen, das Gedankengut dahinter grausam. Der Kampf gegen bürokratische Windmühlen ist übrigens mindestens genauso verletzend und demütigend wie die Aussage „ Autisten ins Gas“ ansich.

Twitteruser: Wehrt Euch!

Twitter: Handel endlich!

Update 22 Stunden nach Veröffentlichung:

Der Account ist mittlerweile gelöscht. Das ist aber wohl eher einem Aufruf zum Spamblock seitens der Community zu verdanken. Von Twitter bisher keine Reaktion. Weder von offiziellen Twitteraccounts noch per Email.

Was ist noch passiert?

Mittlerweile versuchen einige User Aufmerksamkeit zu bekommen und trollen sich recht platt durch Twitter. Da hilft nur eines: Ignorieren. Menschen die sowas anscheinend brauchen gibt es immer wieder. Ich sage da nur eines: Holt Euch ein richtiges Leben!

Ich bekam neben dem wirklich überwältigenden Zuspruch – vielen Dank an alle Unterstützer-  auch andere Reaktionen. Die einen fanden die Sache lustig, andere spielten das Geschehen als Getrolle ab. Natürlich kann man irgendwie alles als Getrolle sehen, was man dabei über übersieht ist die Wirkung nach Außen. Es ist Getrolle „Autisten ins Gas“ zu schreiben und man soll es ignorieren? Ist es dann auch ok zur Vergasung von Angehörigen anderer Staaten, Religionen, Menschen mit Behinderung oder einfach andersdenkenden aufzufordern? Und wenn es bei einem ok ist (ist ja „nur“ Getrolle“) wie sieht es bei vielen Stimmen aus? Alles harmlos? Ich denke nicht.

Einige fragten mich: Was hast Du erwartet. Es war klar das Twitter nicht reagiert. Da bleibt mir zu sagen: Ja traurig aber wahr. Aber ich konnte und wollte nicht schweigen.

Was mich direkt zur nächsten Hürde beim Melden von Verstößen bei Twitter bringt:

Meldet man einen Verstoß und gibt an die betreffende Person/Gruppe zu vertreten wird man, natürlich automatisiert, von Twitter aufgefordert folgende Dokumente hochzuladen:

vielen Dank, dass Sie uns darauf aufmerksam gemacht haben. Um Ihre Meldung bearbeiten zu können, benötigen wir einen Nachweis darüber, dass Sie dazu berechtigt sind, diese Person zu vertreten. Wählen Sie eine der folgenden Optionen aus und klicken Sie dann auf den unten stehenden Link, um das erforderliche Dokument bzw. die erforderlichen Dokumente hochzuladen. Wenn Sie darüber hinaus glauben, dass diese Inhalte laut Ihrer lokalen Rechtsprechung strafbar sind, antworten Sie auf diese E-Mail mit diesen Informationen.

Option 1: ein Dokument über Ihre Befugnis, diese Person zu vertreten (z. B. Vertretungsbefugnis, Vollmacht usw.), eine Kopie eines gültigen Lichtbildausweises (z. B. Führerschein, Personalausweis) und eine Kopie Ihrer Visitenkarte ODER

Option 2: eine Kopie eines gültigen Lichtbildausweises der Person (z. B. Führerschein, Personalausweis),

Wieder eine Hürde bei der viele überlegen werden: Muss ich mir das antun? Und wieder eine Hürde die Täter schützt und Opfer belastet.

Nicht zu reden von der Tatsache das man so Zivilcourage sehr effektiv ausbremsen kann. Muss ich wirklich eine Vollmacht haben um Hilfe für jemand anderen anzufordern? Muss ich amtliche Dokumente hochladen um mich beschweren zu dürfen? Und wer schützt Gruppen vor Angriffen? Letztendlich bedeutet das ja: Wenn eine einzelne Person belästigt und bedroht wird ist diese alleine mit diesem Problem. Wenn Gruppen von Menschen belästigt und bedroht werden ist gar keine Hilfe seitens Twitter vorgesehen. Wer hat denn in seinem Personalausweis stehen das er Autist ist? Oder gar eine Vollmacht für Autisten zu sprechen? Hier wird auf Kosten der Menschenwürde (Artikel 1 GG) an Personal gespart und der Arbeitsaufwand für die Abuseabteilung künstlich klein gehalten.

Ich stelle fest: Twitter ist in Deutschland tätig und hat in Deutschland eine Niederlassung. Solange keine Nippel oder andere nackte Haut getwittert werden scheint es egal zu sein ob deutsche User gegen deutsches Recht verstoßen oder nicht. Das die Meinungsfreiheit eben dort aufhört wo die Rechte anderer anfangen interessiert Twitter anscheinend kaum.

Ich bleibe dabei: Wehrt Euch! Engagiert Euch für einen besseren Userschutz und ein schnelleres Durchgreifen von Twitter bei solchen Aussagen wie „Autisten ins Gas“ oder dem öffentlichen Zeigen von Hakenkreuzen in Profilen. Profile können nämlich auch nicht gemeldet werden! Bitte erhebt Eure Stimme, Schweigen ist tatenloses Zusehen!

TWITTER: Schütz endlich Deine User mit denen Du Dein Geld verdienst!