Sehr geehrter Herr von Buttlar, sehr geehrter Herr Dr. Bellut , sehr geehrter Herr Decker, sehr geehrte Mitglieder des Vorstandes, Aufsichtsrates und Kuratoriums der Aktion Mensch,

die Aktion Mensch möchte Menschen mit einer oder mehreren Behinderungen helfen, sie über Projekte unterstützen und legt großen Wert auf das Vorantreiben von Inklusion in Deutschland.

Ich wende mich als Mensch mit Behinderung in der Hoffnung an Sie, dass auch die Stimme der Menschen, für die Sie etwas erreichen möchten, gehört wird.

Vor kurzem ist einigen Autisten aufgefallen, dass die Aktion Mensch ein Projekt zur Frühförderung von Autisten in Bremen fördert. Ein Projekt des Institutes für Autismusforschung. Hierbei handelt es sich um ein in der Wissenschaft, unter Fachleuten und besonders unter Autisten sehr umstrittenes Konzept, das auf dem System der Applied Behavior Analysis aufbaut. Insoweit betrifft diese Problematik nicht nur das IfA in Bremen, sondern auch andere Projekte (unter anderem MIA in Münster) in Deutschland, von denen teilweise ebenfalls ein Förderantrag bei Ihnen gestellt worden ist.

Um zu informieren und zu verdeutlichen, dass sehr viele Autisten aber auch Angehörige und Fachkräfte große Bedenken an diesem Frühförderprogramm haben, habe ich via Twitter dem Social Media Team und Herrn Decker angeboten, die jeweiligen Bedenken vorzutragen und aus Sicht eines Autisten darüber zu informieren. Auf dieses Angebot erfolgte auch recht schnell eine Zusage. Stattgefunden hat das Gespräch leider nie. Das Social Media Team hat aus meinem Angebot eine Gesprächsrunde mit dem geförderten Projekt gemacht. Das geförderte Projekt wiederum stellte Forderungen und machte aus meinem Angebot, Bedenken vorzutragen, eine Einladung das Projekt kennenzulernen, um mich von der Methode zu überzeugen. Der Sinn und Zweck meines Informationsangebotes ging verloren.

Ich erneuerte mein Angebot an die Aktion Mensch, eben über die Bedenken zu informieren. Ich halte es als Autist für wichtig, dass ein Verein, der soziale Projekte mit bis zu 250.000 Euro fördert, darüber informiert ist, wenn Menschen mit Behinderung Bedenken bei geförderten Projekten bzw. Methoden haben. Schließlich geht es hier letztendlich um uns.

Leider reagierte Ihr Social Media Team nur mit der Aussage, dass sich die Aktion Mensch in dieser Sache neutral verhält und daher kein Interesse an den Bedenken und Sorgen der Autisten hat. Danach folgte Schweigen auf allen Kanälen, es scheint als wolle man die Situation aussitzen.

Sie können sicher verstehen, dass diese Haltung sehr viel Unmut hervorruft. Autisten fühlen sich übergangen und auch das Motto „Nichts über uns ohne uns“ im Sinne der Inklusionsbewegung wird missachtet. Ich möchte betonen, dass es sich hier nicht um Bedenken der Kategorie „Mir gefällt das Projekt nicht“ oder „Ich finde das doof“ handelt. Es bestehen bei der oben genannten Methode erhebliche ethische, moralische und menschenrechtliche Bedenken. Die Frühförderung geht den Weg der „Umerziehung“ von Autisten, um sie möglichst normgerecht zu gestalten. Ein Verständnis von Autismus und die eigentlich notwendige Unterstützung von Autisten spielt hier keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Ich möchte hier auf zwei Zitate der Leiterin des geförderten Projektes Frau Dr. Ragna Cordes verweisen:

“Es geht darum, dass die Kinder ihr gelerntes autistisches Verhalten vergessen und ein neues Verhalten erlernen”

Hier zeigt sich ganz klar, dass die Behinderung Autismus umerzogen werden soll. Man kann allerdings nichts wegerziehen, was durch eine angeborene tiefgreifende Entwicklungsstörung verursacht wird. Zumindest nicht ohne den betreffenden Menschen nachhaltig Schaden zuzufügen. Dass Umerziehungen schädlich sind, sollte hinreichend am Beispiel der Linkshänder und deren Umerziehung zu Rechtshändern belegt sein. Hier merkte man erst nach Jahrzehnten, welchen Schaden und welches Leid man bei den Menschen angerichtet hat. Ich möchte nicht, dass Autisten Jahrzehnte lang umerzogen werden und man erst sehr viel später feststellt, dass man hier großen Schaden angerichtet hat. Dazu kommt: Inklusion bedeutet eben nicht, dass man Menschen mit Behinderung an die Mehrheit der Gesellschaft anpasst, sondern dass man sie respektiert wie sie sind und ihnen die Chance auf Teilhabe am Alltag und in der Gesellschaft ermöglicht.

Das zweite Zitat von Frau Dr. Cordes ist sogar noch markanter:

“Kinder mit Autismus können nicht von sich aus lernen”

Mich verwundert sehr, dass hier kein Aufschrei geschieht. Würde man Autismus gegen „Lernschwierigkeiten“ oder eine körperliche Behinderung tauschen, wäre die Empörung groß, weil man erkennt wie diskriminierend diese Aussage ist. Bei Autismus scheint dies ok zu sein. Was hat das nun mit dem von Ihnen geförderten Projekt zu tun? Es ist genau dieses Menschenbild, das hier umgesetzt wird. Dass man Autisten umerziehen muss und dass man sie quasi zum Lernen zwingen/drängen muss, da sie dies von sich aus nicht können. Die angewandte Methode ist invasiv und bestimmend. Das hat mit einem Recht auf Selbstbestimmung nichts mehr zu tun.

Sehr geehrter Herr von Buttlar,

auf der Webseite der Aktion Mensch werden Sie wie folgt zitiert:

„Mein Ziel ist es, mit unserer Förderung, der Aufklärung und der Lotterie Inklusion in der Gesellschaft voranzubringen – damit Menschen mit und ohne Behinderung ganz selbstverständlich zusammen leben, lernen, wohnen und arbeiten. Dieser Vision wollen wir mit unserer Arbeit täglich ein Stück näher kommen.“

Um selbstverständlich zusammenleben zu können, braucht es Respekt. Wenn Menschen angepasst werden, ist dies ein Rückschritt bei der Inklusion und ihre Vision kann nicht wahr werden.

Sehr geehrter Herr Pfeiffer,

„Mein Ziel ist es, mit der Aktion Mensch sowohl in den Köpfen wie auch an der konkreten Lebenssituation vor Ort etwas zu bewegen. Ich wünsche mir, dass das Zusammenleben von Menschen, die auf den ersten Blick sehr verschieden sind, eine Selbstverständlichkeit wird. Das ist für mich Inklusion.“

Wenn Sie etwas bewegen möchten: Hören Sie auf die Bedenken der Menschen mit Behinderung. Sie legen Wert auf ein Zusammenleben von verschiedenen Menschen. Eine Umerziehung kann dies nicht gewährleisten.

Sehr geehrte Frau Marx,

„Auf dem Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft hat sich bereits viel getan – nicht zuletzt durch Menschen mit Behinderung, die Inklusion und Selbstbestimmung sehr selbstbewusst vorangetrieben haben. Nach wie vor gibt es aber Barrieren – auch und vor allem in den Köpfen. Wir wollen informieren, sensibilisieren und Begegnungen schaffen, damit diese Hürden abgebaut werden und wir tatsächlich zu einem selbstverständlichen Miteinander kommen.“

Hier möchten Menschen mit Behinderung in Sachen Inklusion, Selbstbestimmung und Menschenrechte etwas vorantreiben. Wir möchten eben die Barriere, dass man Autisten anpassen muss, damit sie in der Gesellschaft funktionieren, in den Köpfen der Anwender dieser Methodik niederreißen. Wir möchten informieren, sensibilisieren und Ihnen begegnen, um in einem Miteinander an einer Verbesserung der Situation zu arbeiten. Möchten Sie dies auch?

Sehr geehrter Herr Decker,

„Es ist eine großartige Aufgabe, das Bild über Menschen mit Behinderung positiv zu verändern. Noch immer stehen ihre vermeintlichen Schwächen im Vordergrund der medialen Berichterstattung. Wir wollen einen unverkrampften und natürlichen Umgang erreichen, bei dem die Behinderung in den Hintergrund rückt.“

Genau bei der geförderten Methodik steht genau eines im Vordergrund: Die Defizite von Autisten. Denn genau diese sollen umerzogen werden. Ist es wirklich ein unverkrampfter und natürlicher Umgang mit Menschen mit Behinderung, wenn Ihr Social Media Team schweigt und einer konstruktiven Konfrontation aus dem Wege geht?

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Aktion Mensch kann sich nicht auf Neutralität berufen. Sie fördert Projekte mit teilweise sehr großen Summen und damit geht eine Verantwortung einher, dass die Gelder nicht nur Zweckgebunden verwendet werden, sondern auch im Sinne des Geistes des Vereins Aktion Mensch. Dass die Gelder der Inklusionsbewegung zu Gute kommen, ein Zusammenleben verschiedener Menschen miteinander ermöglichen und dass Begegnungen stattfinden, die allen etwas Positives mitgeben. Um dieser Verantwortung auch gerecht zu werden, ist es unabdingbar, immer wieder zu hinterfragen, ob geförderte Projekte diese Ziele ebenfalls vertreten. Spätestens jedoch dann, wenn von Menschen mit Behinderung Bedenken angemeldet und vorgebracht werden. Sie sollten diese nicht ignorieren sondern anhören. Für ein besseres Miteinander!

In der Hoffnung hier etwas bewegen zu können verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

 

Aleksander Knauerhase

 

Dieser Brief kann hier im Blog unterstützt und mitgezeichnet werden.

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Ein offener Brief und der lange Weg danach