Oder: Ein hessischer Autist auf der 14. Bundestagung von Autismus Deutschland

Ich bin tatsächlich nach Dresden gefahren. Zur 14. Bundestagung von Autismus Deutschland e.V. Und heute war dann der erste Tag. Ich sag es gleich vorab: Dieser Blogpost beinhaltet meine ganz persönlichen Erlebnisse und Eindrücke und ist somit streng subjektiv.

Links zu Tag 2 und Tag 3

Ich fange mal bei der Eröffnungsveranstaltung an. Diese war für 13:30 Uhr angekündigt, um 14 Uhr startete man dann endlich. Wohl weil man auf Frau Reinsch wartete die schon längst im Saal saß. „Hätte mal jemand rufen sollen: Ist hier jemand der Reisch heißt?“ Simpsons Fans hätten sicher gelacht. Aber zurück zu Ernst. Es dauerte nur wenige Sätze bis erklärt wurde, dass der nun spielende Cellist „von Autismus betroffen“ sei. Ich verdrehte die Augen und murmelte:“ Das macht mich sehr betroffen, warum sagen sie nicht einfach das er Autist ist?“ Das gefiel der Frau vor mir wohl gar nicht und sie drehte sich um und sagte „sowas solls geben“. Was sie mir damit sagen wollte? Keine Ahnung.

Einen kurzen Wortwechsel (leise) mit meiner Nachbarin wurde dann von Frau 2 mit einem bösen Blick und einem pschttttttttt kommentiert. Eijo, wir sind dann mal ruhig und reden eben über Twitter.

Wie so oft bei Eröffnungsreden gab es eben viel Dankgerede, Nennung von Personen usw. Es mag daran liegen das ich Autist bin, sowas bringt mir nichts und ist in meinen Augen irgendwie langweiliges Blabla. Macht man aber anscheinend so, muss ich und kann ich mit leben.

Irgendwann wurde angesprochen: Vor 40 Jahren konnte man sich noch nicht vorstellen, dass Autisten überhaupt in der Lage sind in Werkstätten zu arbeiten. Mein Gedanke dazu: Und heute kann man sich immer noch nicht vorstellen, dass Autisten eine wertvolle Informationsquelle sein können. Reden wir also in 40 Jahren nochmal drüber ob sich was geändert hat.

Es folgte ein Teil über Wissenschaft und den wissenschaftlichen Beirat von Autismus Deutschland.

Also alles was publiziert wird geht vorher durch die Hände des wissenschaftlichen Beirates. Das soll die Qualität absichern. Mein Gedanke dazu: Bitte fragt mal den einen oder anderen Autisten, danke!

Im Hinterkopf notiert: Mal nachfragen ob auch ein Autist mit akademischem Abschluss in den wissenschaftlichen Beirat berufen werden kann. Würde sicher nicht schaden.

Weiter geht’s mit der Aussage: Zum Aufklären bräuchte man die Wissenschaft und die Experten. Sie würden viel bewegen. Wiederum: Wo bleiben die Experten in eigener Sache? Ich hatte durchweg das Gefühl, dass man dankbar ist dafür was diese Experten bewegen. Wie Dankbar wäre man dann wenn man sieht was Autisten zum Thema Autismus beitragen könnten wenn man sie ließe? Aber auf die Idee scheint wohl wirklich keiner der Damen und Herren Politiker, Behindertenbeauftragten und Wissenschaftler zu kommen. Schade.

Man ( wer ist das?) erhofft sich von der Wissenschaft und von Menschen die mit Autisten arbeiten bessere Erkenntnisse zur Inklusion. Hallo? Inklusion ist wenn man eben diese Menschen die man auch Autisten nennt mit einbezieht! Es ist traurig dass heute Inklusion viel besprochen wird, aber eben exklusiv. Entweder ignoriert man vollkommen dass auch Autisten eine Meinung und Bedürfnisse haben…oder man traut uns das nicht zu. Beides ist traurig und kommt später am Tag nochmal heftig in mir hoch.

Was mir auch auffiel: Es wurde immer wieder darüber geredet wie hilfreich andere Menschen sind. Also Experten, Menschen die mit Autisten arbeiten, Wissenschaftler, Funktionäre usw. Kein einziges Mal wurde ein Autist erwähnt.

Es wurde immer wieder über Eltern und hilfreiche Menschen geredet, von Autisten war nur die Rede wenn man ein Beispiel brauchte. Hrmpf.

So wurde auch vollmundig davon gesprochen dass man Autisten ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen möchte. Autisten fragen? Öhm ne. Selbstbestimmtes Leben bedeutet eben auch das andere bestimmen was sie denken was man selbst gerne hätte. Mahlzeit.

Merkwürdig war die Aussage von Prof. Dr. Dose (Vorsitzender des wiss. Beirates): Wissenschaft würde im Bereich Autismus viel Müll produzieren. Der Beirat sortiert diesen aus. Nun da kann man gleicher Meinung sein. Muss man aber nicht.

Es folgte das zweite Cellostück, wie erinnern uns: Von einem Autisten gespielt. Ich bin ehrlich: Bei mir fingen die Töne an körperlichen Schmerz zu verursachen. Was sich später in der Pause bestätigte: Der Dreiklang der zur Rückkehr in den Saal aufrief tat noch mehr weh. Ich bin und war also an der Grenze dessen was ich leisten kann. Aber wollen wir nicht den ersten Vortrag des Tages vergessen. Titel: „Kant oder Hume, Pflicht oder Mitgefühl? Menschen mit Autismus als moralische Akteure“

Es dauerte nicht lange da fiel das Reizwort Empathie. Bitte nicht noch so eine Diskussion. Was vom Vortrag bei mir ankam: Sind Autisten moralfähig und wie kann man das erklären. Immer wieder zwischendurch: Also eigentlich kann das kein Mensch sein ( nach Kant). Warum in aller Welt stellt man das dann bei Autisten in Frage?

Kurz gesagt: Ich war in kürzester Zeit innerlich fertig und musste den Saal verlassen. Hart ausgedrückt: Der Vortrag führte mich kurz vor den Punkt entweder schreiend vor 750 bis 1000 Teilnehmern durchzudrehen oder mir den Kopf an die Wand zu schlagen. Und das ist mein Ernst und keine Überspitzung.

Aussagen die ich noch mitbekommen habe: Schwer geistig behinderte Menschen hätten kaum bis keine Moral und die Frage „“verfügen Menschen mit Autismus über die notwendigen Fähigkeiten im kantischen Sinne moralisch zu handeln?“

Verständlich das ich den Saal verlassen musste, oder? In meiner Abwesenheit ging es dann wohl noch um Primaten und deren Moral und Empathie. Mal ehrlich: Philosophen sollten in einer Tonne leben und dort auch nicht raus kommen. Dieses ganze philosophische Geschwurbel hat nichts gebracht. Außer vielleicht der Frage: Was hat das bitte mit Autismus zu tun?

Ich habe mich dann etwas getraut: Ich bin ans Mikrophon gegangen und habe, als vorletzter Kommentator zwei Fragen gestellt:

  1. Warum stellt man die Moralfähigkeit von Autisten in Frage?
  2. Ist diese Fragestellung moralisch?

Der Professor wich mir aus, man müsse sich ja die Ausnahmen anschauen um die Regel (also die Moral der Menschheit) erklären zu können. Auf die Frage ob seine Fragestellung moralisch ist ging er nicht ein. Er merkte wohl dass er da, ganz philosophisch, ins Porzellan gegriffen hatte. Er hatte sich im Vorfeld übrigens nicht mit Autisten getroffen oder gar mit ihnen geredet. Any Comments?

In der Zwischenzeit war übrigens, ich wette es war ein Autist, wahrnehmbar der sich versuchte mit verbalem und auch physischem Stimmung runterzubringen. Ich war also nicht der einzige der mit dem was da passierte überfordert war.

Zum Ende gab es noch eine Aussage die mich traurig stimmte und irgendwie umwarf:

Frau Kaminski sagte (sinngemäß) das Ihr Sohn Kannerautist sei, verbesserte sich dann und meinte vielleicht war denn er sei gut therapiert.

So endet mein erster Tag auf der Bundestagung. Morgen geht’s dann auf Twitter weiter unter dem Hashtag Autismus14