Inklusion ist ein komplexes Thema das man möglichst mehrdimensional betrachten sollte. Mehrdimensional nicht nur aus Sicht der zu erledigenden Arbeiten, sondern auch im Aspekt der Sichtweisen auf die Arbeiten.

Um es deutlich zu sagen: es nützt niemandem etwas, wenn man sich nur überlegt an welchen Stellen man mit welchen Maßnahmen Inklusion betreiben und einführen könnte. Da dies meistens die Fachkräfte in den jeweiligen Bereichen erledigen führt das, und man könnte es schon fast absurd nennen, zur Exklusion der zu inkludierenden Menschen. Diese werden nämlich kaum bis gar nicht gefragt. Ich versuche das mal am Beispiel von Autismus zu verdeutlichen.

Viele Fachkräfte verderben die Inklusion

Davon abgesehen, dass Inklusion derzeit fast ausschließlich im Bildungsbereich diskutiert wird, stellt sich die Situation doch wie folgt dar:

In Hessen gibt es, als Teil des Kultusministeriums, fünf Landesfachberater Autismus. Das sind alles ausgebildete Sonderpädagogen. Haken an der Sache: Sie machen das, wenn ich das richtig verstanden habe, neben ihrem eigentlichen Beruf als Lehrer oder Direktor einer Schule. Zeit für intensive und ausführliche Beratungen dürfte also rar gesät sein. Dazu kommt, man möge mir diese Sichtweise bitte nachsehen, das Pädagogen eben nur die pädagogische Seite der Inklusion kennen. Zweifelsohne ein Vorteil wenn es um angepasste Lehrpläne und Lernhilfen geht. Aber wissen sie wirklich was Autismus im Kern bedeutet?

Dazu gesellen sich dann noch Therapeuten und Ärzte bzw. Psychologen die um Rat gefragt werden. Hier stellt sich mir die Frage: Wissen sie wirklich was Autismus ist und bedeutet? Reich das Lehrbuchwissen dafür aus? Oftmals werden eben nur die Symptome niedergeschrieben. Nach dem warum, wieso und was in einem Autisten vorgeht und wieso er so reagiert wie er es tut….wird leider nur allzu selten gefragt. Mir zumindest sind in vielen Fachaufsätzen zu viele Annahmen begegnet. Man beobachtet einen Autisten und zieht dann Schlussfolgerungen anhand des beobachteten. Der große Fehler hierbei ist: Die Annahme wird aus dem Gefühl heraus getroffen die der nichtautistische Mensch hat.

Ein berühmtes Beispiel: Es kann mit einem Autisten für Außenstehende nicht sinngebend kommuniziert werden => Er lebt in seiner eigenen Welt und ist zu keiner Kommunikation fähig.

Als dritte Gruppe die evtl. zur Inklusion befragt wird treten dann die Angehörigenverbände auf. Diese sind gut strukturiert und organisiert. Was hier allerdings immer wieder vergessen wird: Es sind die Erfahrungen und Sichtweisen von Angehörigen. Und diese nehmen, gerade beim Autismus, die Realität anders wahr. Vertrackt wird es, wenn Angehörige aus reiner Empathie ihre eigenen Empfindungen, Sichtweisen und auch Bedürfnisse auf den autistischen Menschen in der Familie projizieren.  Besonders kompliziert wird es dann, wenn Angehörige davon ausgehen, dass sie sehr genau wissen welche Bedürfnisse der autistische Mensch hat und anfangen für ihn zu sprechen. Das mag im Kleinen, also in der Familie, funktionieren. Im Großen, also in Verbänden und Interessensvertretungen, geht das nur allzu gern mal schief. Es ist aber immer noch ein Tabu darüber zu sprechen das es hier eine Diskrepanz geben kann und gibt. Mir selbst wurde schon vorgeworfen, dass ich (weil ich kommuniziere) ja kein richtiger Autist sein könne und woher ich denn wüsste was Autisten möchten. Richtige Autisten lebten in ihrer eigenen Welt und könnten sich selbst nicht bemerkbar machen bzw. ihre Bedürfnisse ausdrücken. Hier kommt wieder die Frage nach „Schweregrad“ und „Kompetenz“ auf. Kurzgefasst: Du bist kein oder nur ein leichter Autist. Du hast keine Ahnung!

Um eines klar zustellen: Ich schätze die Sichtweisen der Pädagogen. Sie sind die Spezialisten wenn es um Lernen und Wissensvermittlung geht. Ich schätze auch die Meinung von Fachkräften wenn diese offen und nicht an ein Buch festgenagelt sind. Und auch die Erfahrungen und Sichtweisen von Angehörigen sind sehr wichtig und wertvoll. Aber sie ersetzen alle nicht das Wissen das Autisten um ihren Autismus haben!

Lasst die Autisten zur Wort kommen

Was mir fehlt, und ich hoffe das ist in den letzten Zeilen klar geworden, ist die Sichtweise und die Erfahrung der Autisten. Warum werden sie nicht gefragt wenn es um die Inklusion von Autisten geht? Warum geht man davon aus, dass die oben genannten Fachkräfte die Situation komplett überblicken und einschätzen können? Und warum, das ist leider eine schmerzliche Erfahrung die ich gemacht habe, sind sich viele Menschen die mit der Thematik Autismus beruflich zu tun haben so resistent gegenüber der Meinung und Sichtweise von Autisten zum Thema? Es blickt leider oft die Einstellung durch: Ich habe den Film gesehen/das Buch gelesen/mit Autisten gearbeitet und weiß was Autismus bedeutet.

Sollte, gerade wenn man Inklusion ganzheitlich als Bewegung und Umdenken in der Gesellschaft sieht, nicht eben auch die Sichtweise der jeweilig Betroffenen zur Geltung kommen? Gehört zur Inklusion in die Gesellschaft nicht auch dass man eben die Stimmen der inkludierten hört, achtet und wertschätzt? Und sind es nicht die Fachkräfte die genau damit anfangen sollten?

Mein Wunsch zum Thema Inklusion wäre folgender: Fragt die Betroffenen nach Ihren Bedürfnissen und Sichtweisen. Inkludiert sie und ihr Wissen noch bevor ihr an Inklusion in die Gesellschaft denkt. Das ist nicht nur gewonnenes Wissen sondern auch ein Gewinn für die Gesellschaft. Es ist der erste Schritt zur Inklusion!

Wir haben Euch viel zu sagen! Redet nicht über uns, redet mit uns!