Tilman Höffken, Pressesprecher von Auticon:

Ich bin mir bewusst, dass dieses Thema eines der sensibelsten und privatesten für jeden Menschen im Autismus-Spektrum ist. Und ich bin mir auch darüber bewusst, dass ich als Nicht-Autist dieses Thema nur als Außenstehender beurteilen und nachempfinden kann. Ich bin mir bewusst, dass dieses Thema umstritten ist: Autismus-„Comingout“.

Ich spreche eigentlich ungerne von einem „Comingout“, da für mich dieser Begriff einen fahlen Beigeschmack trägt. Er suggeriert, man habe eine Verpflichtung gegenüber „den Anderen“, etwas (die eigene sexuelle Orientierung, eine Krankheit oder eben Autismus) öffentlich machen zu müssen. Diese Verpflichtung hat niemand! Der öffentliche Umgang mit dem eigenen Autismus ist eine sehr persönliche Entscheidung, die einem niemand abnehmen kann und die gleichzeitig niemand fordern sollte.

Dennoch: Die Entscheidung, offen mit dem eigenen Autismus umzugehen, kann auch eine große Erleichterung sein. Das ist unsere Erfahrung bei auticon. In den vielen Informationsgesprächen mit Bewerberinnen und Bewerbern hören wir sehr oft diesen Satz: „Zunächst war die Diagnose ein Schock für mich – dann eine Erleichterung!“

Für das Berufsleben lässt sich sagen, dass dieser Satz durchaus auch für Kollegen und Vorgesetzte gelten kann. Das zeigen die vielen Gespräche, die wir mit Menschen führen, die einen Autisten oder eine Autistin in ihrem Team haben. Der offene Umgang einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters mit dem eigenen Autismus ermöglicht es Vorgesetzten und Kollegen, sich auf ihn oder sie einzustellen. Es trägt zum gemeinsamen Verständnis bei. „Warum kommt er nie mit in die Kantine?“ „Warum hat sie Probleme mit großen Menschenmengen?“ „Warum macht er seine Aufgaben schneller und gründlicher als die anderen Kollegen?“ „Warum braucht sie mehr Struktur als andere Kollegen?“ Auf diese Fragen gibt es auf einmal Antworten.

Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung mit unseren Consultants sagen, dass mir ihr offener Umgang mit dem Thema enorm geholfen hat, Verhaltensweisen zu verstehen – und meine eigenen zu reflektieren. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass dies auch unseren Consultants sehr geholfen hat. Inzwischen denke ich nicht mehr darüber nach, wer in unserem Team Autist ist und wer nicht. Und ich wundere mich nicht mehr über Verhaltensweisen, die mir früher ungewöhnlich vorkamen. Das ist aber natürlich nur möglich, weil ich weiß, dass alle unsere Consultants eine Autismus-Diagnose haben. Und es ist nur durch den Mut unserer Consultants möglich, die offen damit umgehen. Dies verdient eine Menge Respekt!

Aber es ist nicht nur ein besseres Verständnis füreinander, das dadurch möglich wird. Durch diesen Schritt eines Mitarbeiters entsteht auch eine Pflicht des Arbeitgebers, die Inklusion des Kollegen zu ermöglichen. Unterstützen können dabei natürlich Job Coaches – wie beispielsweise bei auticon. Vor allem kommt es aber auf die Aufgeschlossenheit des Teams an. Und genau hier liegt natürlich die Gefahr – und die Angst vieler Menschen im Autismus-Spektrum: „Wenn ich publik mache, dass ich Autist oder Autistin bin, werde ich gemobbt oder gar entlassen.“ Ja, diese Gefahr besteht. Solche Fälle sind durchaus schon vorgekommen. Allerdings machen viele Menschen im Autismus-Spektrum auch ohne ein „Comingout“ die gleichen Erfahrungen.

Viele der Probleme, die Menschen im Autismus-Spektrum am Arbeitsplatz erfahren, rühren auch daher, dass sie versuchen sich zu verstellen. Im Grunde haben sie zwei Jobs: Zum einen machen sie Ihre fachliche Arbeit, zum anderen versuchen sie nicht-autistisch zu wirken. Dieses Verstellen bedeutet natürlich eine enorme Belastung und wird von den Kollegen oft falsch aufgenommen, die oft intuitiv merken, dass jemand nicht authentisch ist. Es ist so, als wenn ich versuchen würde, die Stärken von Menschen im Autismus-Spektrum zu kopieren. Es wäre auf Dauer nicht glaubwürdig!

Natürlich ist das „Comingout“ auch eine Frage des Selbstbewusstseins im Umgang mit dem eigenen Autismus. Und eine Gesellschaft, in der Smalltalk und soziales netzwerken sehr wichtig sind, gibt wenige Möglichkeiten ein solches Selbstbewusstsein aufzubauen.

Wir bei auticon glauben aber, dass ein offener Umgang mit Autismus Missverständnisse auflösen kann, wenn zuvor Probleme mit den Kollegen oder dem Vorgesetzten aufgetreten sind. Dennoch: Die Entscheidung ist eine ganz persönliche. Niemand muss ohne Not das Thema Autismus öffentlich machen. Manchmal aber kann dies vor dem Schlimmsten bewahren, nämlich einer Kündigung.

 Aleksander, Quergedachtes:

Outing ist ein schweres Thema. Ich sehe durchaus die Vorteile die ein Outing, besonders dem Arbeitgeber gegenüber, haben kann. Als Autist sehe ich aber auch die möglichen Nachteile, die Ängste und Bedenken der anderen Autisten und die unsichtbare Mauer die einem von dem Schritt sich zu outen abhält.

Die von Auticon beschriebenen Vorteil und Erlebnisse können Mut machen. Ja es kann für alle ein Vorteil sein wenn alle Seiten wissen das ein Kollege Autist ist, worauf sie achten sollten und was sie eben, besonders im sozialen Bereich, von ihm erwarten können und was nicht.  So zeigt der Bericht von Auticon doch auch eines: Das Wissen um den Autismus verändert auch die Kollegen. Und das es eine Veränderung sein kann die man zu schätzen weiß und nicht ablehnt ist gleich doppelt toll. Was man aber dabei nie vergessen darf: Auticon ist ein Unternehmen das gezielt Autisten beschäftigt und für Autisten gegründet wurde. Und damit ist Auticon auch sowas wie der „beste Fall“ der einem Autisten passieren kann wenn er sich outen möchte. Nicht zu Letzt sind es ja auch die Job Coaches und andere Mitarbeiter von Auticon die dann in den Kundenunternehmen viel Vorarbeit leisten und die Autisten aktiv unterstützen. Nur wie viele Unternehmen wie Auticon gibt es in Deutschland, Europa und der Welt?

Der Alltag eines Autisten der einen Job sucht oder in „Lohn und Brot“ steht ist weit weniger optimal.  Zum einen fehlt die Unterstützung durch Job Coaches. Es gibt schlichtweg niemanden der Autisten im Berufsalltag unterstützt und bei Problemen hilft. Dann darf man nicht vergessen: Das gesellschaftliche und auch das mediale Bild von Autismus ist von einer Menge Stereotypen geprägt. Diese zwingen einen Autisten, gerade wenn es um die Überlegung geht sich zu outen, in eine unmögliche Zwangslage. Entweder glaubt man ihm aufgrund der Stereotypen nicht dass er Autist ist (das ist bei Dir doch gar nicht so schlimm…). Das wiederum bringt keine Besserung bei Problemen sondern führt entweder dazu, dass der Autist sich massiv verbiegt um der „Norm“ zu entsprechen in die man ihn einordnet, oder aber er wird auf Dauer den Job verlieren weil man eben für seine Besonderheiten kein Verständnis hat (Stell Dich doch nicht so an!) Alternativ glaubt man es ihm evtl. aber dank der Stereotypen ist er damit weit entfernt von einer Chance einen Job zu kommen weil man ihm schlichtweg nichts zutrauen wird. Wer möchte schon einen (Achtung es folgen Stereotype!) dummen, stillen, in seiner Welt lebenden, Inselbegabten Amokläufer der aufgrund seiner psychopatischen Züge und mangelnden sozialen Verhaltensweisen keine Chance hat in das „Team“ und die „Teamarbeit“ reinzukommen?

Letztendlich wird Autismus immer noch als Schwäche und Defizit gesehen. Und Defizite zerstören Chancen, Schwäche ist in der heutigen Gesellschaft nicht erwünscht und führt, leider, oftmals zu Mobbing oder anderen erniedrigenden Situationen.

Letztendlich hilft nur eines: Aufklärung, Information und das ändern des gesellschaftlichen Bildes von Autismus. Und auch ein Umdenken bei den Personalverantwortlichen weg von einem defizitären Denken hin zum Schätzen von Stärken. Das ist jedoch ein langer Weg. Ein Weg den nur viele gemeinsam bestreiten können.

Zusammenfassend kann ich also sagen:

Es ist toll das es Unternehmen gibt die wie Auticon denken, offen für ihre Mitarbeiter sind und vielleicht selbst sogar entdecken das so einiges im Umgang mit autistischen Kollegen auch für einen selbst ganz angenehm ist. Das ist jedoch noch ein Einzelfall bei dem man nicht auf anderen Unternehmen schließen sollte. Was bei Auticon funktioniert geht bei anderen Unternehmen oftmals schief.

Damit Autisten sich ungezwungen outen können braucht es ein Umdenken in der Gesellschaft. Es braucht die Akzeptanz von „Andersartigkeit“, eine Offenheit im Umgang mit anderen Menschen und vor allem eine Menge Informationen für die entsprechenden Entscheidungsträger. Denn eines ist klar: Nur ein aufgeklärter Chef kann richtig mit so einem Outing umgehen und das Arbeitsumfeld dann so gestalten das für alle ein positiver Fortschritt gemacht wird.

Letztendlich ist es ein aufeinander zugehen. Es braucht mutige Autisten die über Autismus informieren und ein Umdenken weg vom defizitären Denken einleiten. Es braucht aber eben auch Entscheidungsträger die offen dafür sind.