Nun mein Bericht vom zweiten Tag auf der 14. Bundestagung von Autismus Deutschland e.V. (Tag 3 findet man hier)

Nachdem gestern ziemlich katastrophal für mich abgelaufen ist hatte ich an den zweiten Tag erst einmal wenig Anforderungen. Es konnte, so hoffte ich , nur besser werden. Und siehe da: Es wurde besser.

Ich kann hier nur für die Session sprechen in denen ich selbst gesessen habe. Insgesamt gab es ein Angebot von 24 Vorträgen am zweiten Tagungstag.

Auf den ersten Vortrag war ich besonders gespannt: „Überraschend anders – Mädchen und Frauen mit Autismus“ von Frau Dr. Preißmann. Mich interessiert wirklich worin sich nun Frauen von Männern beim Autismus unterscheiden. Bekam ich Antworten? Jain. Vorab: Frau Preißmann hat einen sehr guten Vortrag über Autismus gehalten. Die Innensicht floss mit ein, es gab verständliche Beispiele aus ihrem Leben. Das Schöne dabei war: Man konnte mit ihr lachen. Es wurde, wie an anderer Stelle, nicht über Autisten und ihre „Pannen“ sondern mit ihnen gelacht. Das ist gleich eine ganz andere Atmosphäre.

Es gibt tatsächlich einige Punkte die sich wohl bei Frauen und Männer unterscheiden. Nicht im Autismus ansich, sondern in der Außenwirkung. Manche Punkte konnte ich nicht nachvollziehen da sie mich als Mann in den meisten Fällen ebenso betroffen haben. Die Forderung nach geschützten „Räumen „speziell für Autistinnen kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Ich denke die Umgebung und die Harmonie zwischen den Autisten muss passen, da braucht es keine Geschlechtertrennung. Und ja: Ich kann verstehen das Frauen bei manchen Themen gerne lieber unter sich sind. Das ist ja auch ok und geht Männern nicht anders.

Ich denke mit mehr Aufmerksamkeit bei der Diagnose kann man die Nachteile der autistischen Frauen durchaus ausgleichen. Und auch Männer können sehr unauffällig sein. Mehr Aufmerksamkeit würde also allen Autisten helfen.

Vortrag 2 war „(Wie) können Medikamente helfen? Reflexionen aus 30-Jähriger klinischer Expertise“ gehalten von Prof. Dr. Dose.

Ich ging weitestgehend unvoreingenommen in den Vortrag und war gespannt was mich erwartete. Prof. Dose informierte umfangreich über „Wundermittel“ und Studien die man so zurechtgebogen hat das auch Brokkoli Autismus „heilen“ kann. Angesprochen wurde eine Unzahl von solchen Wundermitteln und ich kannte auch noch nicht alle. MMS kam auch zur Sprache, für mein Gefühl zu kurz. Das hätte man, auch wenn es eigentlich offen liegt das es sich um Folter und Scharlatanerie handelt, ausführlicher erklären können.

Es folgten Richtlinien aus den USA zur Medikamentengabe bei Autismus. Es wurden verschiedene Arten von Medikamenten ausführlich angesprochen, ob sie eine Wirkung auf typische Autismusmerkmale haben und wann man sie bei einem Autisten anwenden kann. Dabei betonte Prof. Dose durchaus das Medikamente nicht die erste Lösung bei Problemen sind und klassische Verfahren wie Therapie Vorrang haben sollen. Der Vortrag wurde dann leider, für mich und mein Wissen, zu medizinisch. Aber es wurde auf komplexe Zusammenhänge, die Wirkung von Medikamenten auf den Hormonhaushalt usw. eingegangen. Auch die Funktionsweise von Medikamenten wurde recht anschaulich dargestellt.

Ein informativer Vortrag der sich eher an Fachpersonal richtete aber aus dem auch ich als Laie noch einiges mitnehmen konnte.

Nach der Mittagspause ging es mit dem dritten Vortrag „Achtsamkeit bei Menschen mit Autismus“ von Annelies Spek aus den Niederlanden weiter. Ich hatte alleine bei dem Titel an etwas anderes gedacht. Meine Erwartung war das ich einen Vortrag höre wie man mit Achtsamkeit auch die nonverbale Kommunikation von Autisten erfassen kann. Stichwort Basale Kommunikation. Kurz gesagt: Wie erkenne ich auch ohne Worte und Sprache z.B. das ein Autist Stress bekommt und wie kann ich dann frühzeitig eingreifen.

Der Vortrag ging aber über ein auf Autisten angepasstes Meditationssystem. Nun gut: Vielleicht kann mir das ja helfen. Frau Spek brachte die Inhalte gut zum Publikum und es gab auch zwei praktische Übungen bei denen jeder selbst beurteilen und ausprobieren konnte ob Mindfulness etwas für ihn ist. Ein Vortrag aus der Praxis, mit Praxis gewürzt: Gut gelungen!

Vortrag 4, und das war mir vorab klar, ging um das Thema ABA. „Ein ABA Team an einem ATZ“ war der Titel und Julia Buchenau-Schlömer und Claus Lechmann präsentierten hier ihren Arbeitsansatz.

Ich muss nun tatsächlich meine eigenen Tweets dazu nachlesen. Es gab soviel das mich dort aufregte. Wenn ich hier nur knapp auf den Vortrag eingehe liegt das etwas an der Zeitnot. Der dritte Tagungstag fängt in 30 Minuten an.

Es dauerte tatsächlich keine drei Sätze bis mir übel wurde. Die Referenten begrüßten, mit Blick in den von mir aus gesehen rechten Teil des Publikums, die vielen ATZ Mitarbeiter und „alten ABA Hasen“. Am geselligen Abend erfuhr ich übrigens, dass die ABA Bewegung in den ATZ nicht so massiv und trendig ist wie es auf dem Vortrag den Eindruck erweckte. Man könnte auch sagen: Es ist eine kleine unverbesserliche Fangemeinde die sich gegenseitig zujubelt. Werbung für ein Seminar gab es übrigens auch. Hat auf einer Fachtagung nichts zu suchen, finde ich zumindest.

Was ich dann gleich wenig später lernte: ABA ist eine Wissenschaft und man kann das in den USA sogar auf Master studieren. So ein studiertes Exemplar hielt dann auch den Vortrag. ABA ist übrigens nicht auf Autismus beschränkt. Warum auch? Man kann Menschen damit prima manipulieren, dominieren und brechen.

Es gabt sehr viele Filme aus der Praxis. Mein erster Gedanke: Was die Kinder wohl dazu sagen als Anschauungsobjekte präsentiert zu werden? Am Ende dankte man übrigens den ELTERN das sie zugestimmt haben das die Videos gezeigt werden durften.

Das erste Video zeigte noch eine Situation nach Lovass. Therapeut und Kind. Was da abging ist unbeschreiblich. Kasernernton und Anweisungen für „Dumme“. Beispiel gefällig? „Was das?“, „Zeig Boden!“, „Zeig Gardine!“. Mir fehlte da nur noch: SITZ! Platz! (bei Autisten evtl. gefährlich wenn sie platzen) und FRIß! Sorry aber Tiere behandelt man noch freundlicher. Was bei Tieren übrigens schon als Tierquälerei gelten kann ist bei Kindern anscheinend durchaus ok.

Dann kam, vom Fachmann, eine Aussage die mich unhaute: Autismus ist eine gestörte Wahrnehmung. Und was ist das letztendlich? Wahrnehmungsstörungen sind optische und akustische Halluzinationen. Punkt 1: Frechheit! Punkt 2: Wieso darf ein Therapeut sowas sagen? Punkt 3: Herr wirf Hirn vom Himmel!

Ein weiterer Film zeigte dass man die Aufmerksamkeit von autistischen Kindern nur dann bekommt, wenn man sie nachmacht. Gemein gesagt: Klar das Kinder da reagieren. Sie fragen sich warum der Typ sie nachäfft. Ich fand die Situation peinlich.

So anderen Therapiearten sagte man auch kurz etwas: Gestützte Kommunikation sei Blödsinn. TEACCH traute man sich wohl nicht anzugreifen. Man ließ es unkommentiert.

ABA wird übrigens, geht man nach dem Vortrag, angeboten weil Eltern das massiv anfragen. Gäbe es keine Nachfrage würde man das ja nicht machen. Und so ist wohl auch eine Familie dran Schuld, dass man hier in Deutschland anfing sich mit Lovass und ABA zu beschäftigen.

Es folgte ein Video zu „problematischem Einkaufsverhalten“. Danach wurde betont: ABA ist positiv ausgerichtet. Eltern bekommen eine sog. Behinderungsverabreitung.

ABA ist übrigens, nach Aussage der Referenten, radikaler Behavoirismus nach Skinner. Radikal? Ja das kann ich nachdem was ich sehen musste durchaus bestätigen. Kasernenton, Insistieren, Quälen.

ABA ist übrigens positive Verstärkung. Kenn man in der Tierhaltung als Klickertraining. Wichtig ist auch die systemische Datenerhebung. Die müssen die Eltern machen. Was hier wieder vergessen wird: Wenn Eltern problematisches Verhalten dokumentieren ist das die Außensicht. Wenn diese dann unreflektiert auf ein Planungssystem übertragen wird: Gute Nacht für das autistische Kind!

Um mal Live zu demonstrieren was Lovass so ist haben die beiden Referenten das mal gezeigt. Mit Wasser und Mikro. Was ist das? WASSER. Wo ist WASSER? Usw. Der Saal lachte. Ich verging die Laune. Man lachte hier offensichtlich weil es lächerlich war. Aber 2 cm weiter dachte da wohl keiner. Wenn es denn so lächerlich ist: Warum ist es dann bei Kindern ok? Oder war es lächerlich weil man wusste, dass der Referent weiß was Wasser ist und wo es steht? Das würde dann aber implizieren das autistische Kinder dumm sind und man mit ihnen wie mit Tieren sprechen muss. Wo ist das Fresschen? Ja wo ist es denn? Ja da ist es. Haddu gut gemacht! Das tätscheln auf den Kopf kam übrigens auch im Video vor.

Da ja nicht alle autistische Kinder reden gibt es auch Gebärden. Man kann sie verwenden, aber Sprache ist natürlich das Beste. Die Geste für Popcorn wurde im Film gezeigt. Das Kind tippte sich auf den Wangenknochen. Und immer wenn es tat tat passierte was? Es fiel ein Popcorn aus der Therapeutin. YAY. Ich probierte das, ganz nach meinem Galgenhumor, mit meiner autistischen Sitznachbarin aus. Ich konnte tippen wie ich wollte: Es gab kein Popcorn. Irgendwann, meine Wange tat schon weh, bot sie mir dann ein Kinder Bueno an. Hey das funktioniert!

Es gibt bei ABA übrigens auch sog. Tokens. Also Stempel wenn man was gut gemacht hat. Mich erinnerte es an die REWE Sammelpunkte, Töpfe bekommt das Kind aber wahrscheinlich keine. In der Schule nannte man das wohl Fleißbienchen. Na Motivation ist schon ok.

Problemverhalten wird bei ABA übrigens durch Löschen oder Bestrafen gelöst. Das man mal nach dem Auslöser schaut ist zu viel verlangt. Was Löschung bedeutet sagte eine Mutter am Ende als man sie nach den schweren Momenten in der Therapie befragte: Löschung bedeutet unter anderem das man das Kind nicht in den Arm nehmen darf. Es wird isoliert, bestraft und die Eltern müssen es ertragen ihr Kind in schweren Situationen nicht unterstützen zu können. Kurzum: Man lässt das Kind mit Ignoranz eben schreien. Man lässt es alleine.

Wir haben ja gelernt: ABA ist positiv. So auch bei einem NEIN. Beispiel aus dem Vortrag: Kind möchte Pommes. Mutter sagt NEIN, es gibt Nudeln. Damit das Kind aber das Nein akzeptiert fällt was aus der Mutter raus? Nein kein Popcorn, ein Überraschungs Ei.

Weiter geht’s mit dem problematischen Verhalten beim Einkaufen. Mutter und Kind stehen vor der Eistruhe: Kind schaut fasziniert ein. Mutter sagt: Eis? Kind: EIS! Mutter: Nein! Wir haben schon Cola, Fanta, Chips und Brezeln. Juhuuuuu. Merkt hier einer was schief läuft?

ABA Maßnahmen sollen übrigens nur 2-3 Jahre im ATZ laufen. Danach, so wünscht man sich das seitens der Referenten, sollen Kindergärtnerinnen und Lehrer/innen das übernehmen. Hintergrund (der nicht gesagt wurde): Kostenträger zahlen nicht mehr als 2-3 Jahre. Danach muss das durch sein. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.

Die Autistin neben mir überlegte ob sie zum Mikro gehen sollte. Nicht etwa um zu protestieren, nein. Hingehen, drauf deuten und MIIIKROOOOOO sagen. Und brav auf die Belohnung warten. Wir haben es aber gelassen, zum einen hätte man unseren Protest nicht verstanden, zum anderen nicht ernst genommen. Wir können ja froh sein das wir „leichte“ Autisten sind.

Fazit: Anstrengender Tag, 3 gute Vorträge und einer der mich zu folgender Aussage bewegt:

Ich glaab dir brennt de Kiddel!