Wie schon im letzten Blogpost versprochen schreibe ich heute ein wenig darüber wie es mir nach dem März 2011 ergangen ist und was sich bei mir in Sachen Outing so alles getan hat.

Es kochte ja innerlich in mir, ich kämpfte mit mir und der Entscheidung ob ich mich irgendwann outen oder es lieber lassen sollte um keine Nachteile zu haben. Mir war damals schon klar: Lange geht das so nicht mehr weiter.

Und so kam es wie es kommen musste: Auf einmal fiel mir die Entscheidung sehr leicht. Aus einer anfangs unüberwindlichen Mauer wurde ein Gartenzaun. Aus dem Gartenzaun eine kleine Hecke und letztendlich war es nur noch ein kleiner Schritt über eine niedrige Schwelle den ich zu gehen hatte. Lange hatte es gedauert bis ich diesen Schritt gehen konnte. Oder anders ausgedrückt: Auf einmal war alles ganz einfach!

Mit einem Tweet fing es an

Alles fing mit einem Tweet des Behindertenbeauftragten meiner Hochschule an. Er suchte für einen Artikel in der FAZ behinderte Studenten die über ihre Behinderung reden wollten. Ich nahm Kontakt auf und der Journalist wollte per Zufall am liebsten wirklich über Autismus schreiben. Ich traf mich mit ihm und nach einem langen Gespräch entstand ein toller Artikel über Studieren mit Behinderung. Ich stimmte zu das mein voller Name veröffentlicht wird. Das Eis war gebrochen. Da der Welt-Autismus-Tag auch immer näher rückte entstand eine weitere Idee: Erfahrungsberichte von behinderten Studierenden auf den Seiten des Behindertenbeauftragten. Nachdem ich ja wusste das in der FAZ mein Name und Autismus schon öffentlich erscheinen würden war es keine Hürde mehr auch an der Hochschule öffentlich dazu zu stehen. Was soll ich sagen? Es tat unheimlich gut offen über das Studium und Autismus zu schreiben! Und es war eine enorme Erleichterung endlich den letzten Schritt gegangen zu sein. Die Ängste was passieren könnte wenn man meinen Namen mit Autismus in Verbindung bringen könnte waren wie weggeblasen. Was nun auch passieren sollte: Ich hatte keinen wirklichen Einfluss mehr darauf. Und wenn ich zurückblicke: Was ist passiert? Nichts! Von den ganzen Ängsten über Nachteile und Stigmatisierung ist bis heute nichts persönlich bei mir eingetroffen. Mein Leben war wie bisher, nur wesentlich Angstfreier.

Schritte in die Normalität

Mit der Zeit machte ich dann immer mehr kleine weitere Schritte. Leserbriefe in der Tageszeitung zum Thema Autismus trugen meinen Namen als Absender. Und auch bei einem sehr tollen QiGong/Taichi Seminar nahm ich meinen Mut zusammen und sprach mit dem Seminarleiter und meiner Trainerin darüber das ich Autist bin. An immer mehr Stellen in meinem alltäglichen Leben öffnete ich mich und konnte darüber reden.  Vielleicht habe ich einfach nur ein glückliches Händchen dafür mit wem ich in welcher Situation über meinen Autismus rede. Auf jeden Fall ist mir bisher noch kein Mensch begegnet der so reagiert hätte wie ich es mal befürchtet hatte. Die meisten Reaktionen könnte man wohl ganz einfach mit „Na und?“ beschreiben. Aber nicht aus Gleichgültigkeit sondern sondern weil es einfach nicht schlimm für sie ist.  Es sind ganz wunderbare Gespräche entstanden – denn eines hatten alle gemeinsam: Ein Interesse an und viele Fragen rund um Autismus.

In Namen der Aufklärung

Ein wichtiger Punkt bei der Entscheidung ob ich mich mit vollem Namen oute oder nicht war die Frage der Aufklärung und Information über Autismus. Das Schreiben meiner Blogposts hat einiges in mir ausgelöst. Anfangs war es reine Wut und Verzweiflung die mich zum Schreiben brachte. Die dadurch entstandenen Gespräche mit sehr interessierten Menschen brachten mich dazu meinen eigenen Autismus zu hinterfragen und verstehen zu wollen. Ich fing, Jahre nach der Diagnose, endlich an sie nicht nur zu akzeptieren sondern auch zu verarbeiten. Man könnte auch sagen: Ich fing an endlich mich selbst zu verstehen! Zeitgleich merkte ich aber auch: Meine Texte können vielen anderen Menschen helfen Autismus zu verstehen. Zumindest können sie einen kleinen Beitrag dazu leisten einen Einblick in die Welt eines Autisten zu bekommen. Und so rückte dann auch immer mehr der Aspekt der Aufklärung über Autismus in den Vordergrund meiner Schreibmotivation. Wer nun denkt das es ein weiter Bogen von Wut hin zu Aufklärung ist liegt wohl falsch. Denn letztendlich ist Aufklärung der Schlüssel dazu, dass andere Autisten und auch ich selbst hoffentlich in Zukunft immer weniger Wut und Verzweiflung empfinden müssen die durch Stereotypen und Vorurteile ausgelöst werden. Und, so sehe ich persönlich das, Aufklärung kann man nur leisten wenn man aus dem Schatten der Anonymität heraustritt. Die Person die informiert und aufklärt muss greifbar und benennbar sein. Ich kann Menschen nur berühren und etwas erreichen wenn sie mich auch als Menschen wahrnehmen und nicht als anonymen Nick aus dem Internet. Zumindest macht es die Aufklärungsarbeit leichter wenn man das Gefühl vermittelt zu dem zu stehen was man sagt und schreibt und sich nicht verstecken muss. Alleine schon weil man selbst viel weniger blockiert und gehemmt ist. Das sind zumindest meine Erfahrungen.

Ich bin Autist und das ist gut so!

Im März 2011 schrieb ich:

Ich würde so gerne herausschreien „Mein Name ist xxx, ich bin Autist ! Akzeptiert mich wie ich bin!“

Im Januar 2013 sage ich:

Mein Name ist Aleksander, ich bin Autist und das ist gut so!

Im März 2011 sah ich die Zukunft so:

Bis dahin bleibt mir wohl nur ein Leben gefangen in der Welt der Anonymität. Vergleichbar mit einem Terroristen oder Verbrecher!

Heute sage ich:

Ich bin Autist und ich möchte über Autismus öffentlich aufklären. Ich stehe mit meinem Namen dazu!

Mir ist zum Abschluss dieses Blogposts noch wichtig folgendes zu sagen:

Auch wenn ich offen zu meinem Autismus stehe und ihn nicht mehr verheimliche: Ich habe kein Tattoo auf der Stirn „Achtung Autist!“. Autismus ist ein Teil von mir, aber ich bin mehr als Autismus! Und deshalb trage ich ihn auch nicht plakativ vor mir her.

Ich kann sehr gut verstehen wenn andere Autisten den Schritt des Outings nicht gehen möchten oder wollen. Jeder muss seinen persönlichen Weg finden wie er mit dem Thema umgeht. Die anonymen Stimmen die über Autismus informieren und aufklären schätze ich sehr. Ich persönlich musste nur aus der Anonymität heraus um wirklich unbefangen informieren zu können.