Ich denke es können sich noch viele an eine Schlagzeile  einer vielverkauften täglichen Ansammlung von Papier aus den letzten Monaten erinnern:

Der irre Amok-Killer von Newtown

Eiskalt.

Ohne Mitgefühl.

Kein Mitleid.

Medium erklärt das Asperger Syndrom.

Die Nerven vieler lagen damals blank und zu Recht liefen dagegen mehrere Beschwerden beim deutschen Presserat auf. Dieser hat nun am 14.03.2013 in der Sache entschieden. Mir liegt die Entscheidung in voller Länge vor.

Es geht bei der Beschwerde um die Ziffer 12 (Diskriminierung) des Pressecodex:

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Auf den Seiten des Presserates findet sich noch eine Richtlinie zu dieser Ziffer:

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber  Minderheiten schüren könnte.

Um die Entscheidung kurz zu machen:

Die Beschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Die Begründung dieser Entscheidung lautet, auszugsweise, wie folgt:

Der Vorwurf, dass die Redaktion eine Verknüpfung zwischen Asperger-Syndrom und Amoklauf herstelle, ist nach Ansicht des Ausschusses nicht berechtigt. Die Redaktion legt den Fokus in dem Beitrag auf die Erläuterung der Charakteristika des Asperger-Syndroms. Einen expliziten Zusammenhang oder sogar die Schlussfolgerung, dass der Amokläufer die Tat aufgrund des Asperger-Syndroms begangen haben könnte, ist daraus jedoch nicht abzuleiten.  Die Redaktion begegnet aus dieser aus ihrer Sicht unzulässigen Schlussfolgerung, sogar mit folgender Passage:

„Zunächst: Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem Asperger-Syndrom und Gewalttätigkeit. Die meisten Betroffenen führen ein unauffälliges, oft integriertes Leben. An welcher Form des Syndroms Lanza litt und welche weiteren Störungen und Faktoren ihn durchdrehen ließen, muss noch untersucht werden.“

Eine pauschale Diskriminierung von Menschen mit Asperger-Syndrom ist vor diesem Hintergrund aus Sicht des Ausschusses nicht zu erkennen.

In meinen Ohren klingt das wie folgt:

Schreib in eine Schlagzeile was Du möchtest. Reißerisch? Kein Problem. Beachte bitte nur: Relativiere die Aussage der Schlagzeile im Artikel.

Was letztendlich bedeutet: Zieh Dir Kunden mit Aussagen egal welchen Niveaus. Hauptsache im eigentlichen Text wird das dann relativiert. Oder mit Ironie ausgedrückt: Kann der Leser ja erst dann lesen wenn er die Zeitung/Zeitschrift schon gekauft hat.

Was ich nicht verstehe: In der Richtlinie zu der Ziffer 12 steht folgendes:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Wenn die Redaktion dann schreibt:

Zunächst: Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem Asperger-Syndrom und Gewalttätigkeit. Die meisten Betroffenen führen ein unauffälliges, oft integriertes Leben. An welcher Form des Syndroms Lanza litt und welche weiteren Störungen und Faktoren ihn durchdrehen ließen, muss noch untersucht werden.

frage ich mich: Wo ist hier der begründete Sachbezug wenn es keinen Zusammenhang zwischen Asperger und Gewalttätigkeit gibt?

Nicht zu vergessen:

Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber  Minderheiten schüren könnte.

Und genau das macht die Schlagzeile: Sie bezeichnet einen Amokläufer, im expliziten Zusammenhang mit dem Asperger-Syndrom, als Eiskalt, ohne Mitgefühl und Mitleid.

Aber auch hierzu hat der Presserat in diesem Fall eine Begründung:

An diesen Informationen (Anmerk. des Autors: Über die Person des Täters und sein psychischer Zustand) besteht aufgrund der in ihrer Dimension außergewöhnlichen Tat ein großes öffentliches Interesse.

Mich macht sowas traurig. Aber schon bei Karl May haben wir ja alle gelernt: Ein Indianer weint nicht und kennt auch keinen Schmerz.

In diesem Sinne:

Hugh! Der Presserat hat gesprochen!

 

UPDATE 20.04.2013

Soeben habe ich auch die Entscheidung des deutschen Presserates vom 14.03.2013 zu den Beschwerden über den SPON Artikel bekommen. Ergebnis: Beschwerde abgelehnt mit 6 zu 2 Stimmen.

Der Presserat fasst die Stellungnahme der Rechtsabteilung von SpiegelOnline u.a. mit folgenden Worten zusammen:

Berichterstattung und öffentliches Interesse kreisten vorwiegend um die Frage, wie und warum es zum Unfassbaren habe kommen können. Eben deshalb würde je nach Einzelfall über sämtliche Gesichtspunkte berichtet, die auch nur ansatzweise in Betracht kommen könnten, solche Taten zu erklären: übermäßiger Computerspielkonsum, Waffengewöhnung, Misshandlung, oder – wie im vorliegenden Fall – auch eine psychologische Störung.

Für mich klingt das, böse gesprochen, nach folgendem:

Bei öffentlichem Interesse  berichten wir über alles was wir bekommen können. Und sei es der eingewachsene Fußnagel am großen Zeh des rechten Fußes!

Der Presserat begründet seine Entscheidung dann wie folgt:

SPIEGEL Online hat mit der Berichterstattung nicht gegen die presseethischen Grundsätze verstoßen. Der Ausschuss prüfte die Berichterstattung vor dem Hintergrund der Ziffer 12 des Pressekodex. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass eine Berichterstattung über die Person Adam Lanza – auch über seinen psychischen Zustand – grundsätzlich zulässig ist. An Informationen zu möglichen Motiven des Täters und zu Einzelheiten über seine Person besteht aufgrund der in ihrer Dimension außergewöhnlichen Tat ein öffentliches Interesse. Der Ausschuss folgte hier der Argumentation der Zeitschrift, dass auch eine etwaig psychische Disposition in einer Berichterstattung näher beleuchtet werden darf.

Und weiter:

Es gibt eine Passage in dem Beitrag, die missverständlich aufgefasst werden kann und Spielraum für Interpretationen lässt: Darin zählt die Redaktion verschiedene Täter auf, die ebenfalls am Asperger-Syndrom gelitten haben („Gleichwohl gab es bereits Amokläufer, bei denen auch Asperger-Autismus diagnostiziert worden war. Frederik B., der Vierfachmörder von Eislingen […].“) Abgeschwächt wird diese Passage jedoch durch die Einleitung: „Sollte Adam Lanza tatsächlich an einer Form von Autismus gelitten haben, ist das noch lange keine Erklärung für seine grausamen Taten.“

Kommen wir also zum Punkt der Sache:

1)      Egal was jemanden zu einem Amoklauf treibt: Es darf geschrieben werden wenn es im Raum steht. Ob es den Tatsachen entspricht oder nicht.

2)      Man darf ruhig, das Thema mal außen vorgelassen, eine bunte Aufzählung von Straftätern und deren vermeintliche gemeinsame Störung/Eigenart machen. Hauptsache man sagt hinterher: Wir weisen darauf hin, dass die erwähnte Störung/Eigenart keine Erklärung für die Straftaten liefert. Kurzum: Man stellt etwas medienwirksam in den Raum und negiert es gleich danach wieder.

Wer den deutschen Presserat bisher als ein freiwilliges Kontrollinstrument der Medienwirtschaft gesehen hat muss wohl langsam umdenken. Pressekodex klingt nach etwas tollem, ist es im Inhalt auch. Aber was nützt ein freiwilliger Kodex wenn man sich nicht dran hält?

In diesem Sinne: Ich bedanke mich bei allen Journalisten die verantwortungsvoll recherchieren und sich bewusst sind was Qualität im Beruf bedeutet. Ich verneige mich vor allen Journalisten die dabei noch den Pressekodex wie er ist einhalten und nicht biegen und umdeuten.

Und ich trauere um jeden Journalisten der genau deswegen im Job ersetzt wird weil man auf andere Art und Weise viel besser und schneller Geld machen kann!