Ein Special zum Welt-Autismustag 2011

und trotzdem immer aktuell!

Anlässlich des diesjährigen Welt-Autismustages unterbreche ich meine Reihe „Autismus quergedacht“ und präsentiere heute ein kleines Special das in Teilen persönlicher angehaucht ist als meine anderen Beiträge.

Welt-Autismustag, da fragen sich viele: Was ist das überhaupt und was will man damit erreichen?

Zuerst einmal ein paar Fakten:

Der Welt-Autismustag wurde am 18.12.2007 von der UN in der 76. Plenarsitzung beschlossen. Er wird seit dem 02.04.2008 begangen und soll, nach Willen der UN, über Autismus aufklären, für das Thema sensibilisieren und in der Gesellschaft das Bewusstsein für Autismus schärfen.

So weit, so gut. Kürzlich war erst der Welt-Down-Syndrom-Tag und abseits einiger sehr wertvoller Beiträge hat man leider nicht viel davon mitbekommen. Ein Tag des Waldes, der Bäume usw. ist in den Medien leider wesentlich präsenter. Das soll mich aber nicht davon abhalten, meinen kleinen Beitrag zum Tag des Autismus zu leisten. Ich möchte hierfür eine Frage aufgreifen die mir vor kurzem gestellt wurde und sich in meinen Augen sehr gut dafür eignet über Autismus und Autisten aufzuklären. Natürlich, wie sollte es auch anders sein, birgt sie aber auch viel Sprengstoff und wird daher von mir aus verschiedenen Perspektiven und durchaus mit dem einen oder anderen Hinweis an Nichtautisten verbunden beleuchtet.

Die Frage der Fragen lautete: Was können Autisten eigentlich nicht?

Eine Frage die, so profan und einfach sie sein mag, nicht so leicht zu beantworten ist. Spontan wäre meine Antwort: Es gibt nichts was Autisten (pauschal gesehen), im Vergleich zu Nichtautisten, nicht können! Dafür ist Autismus viel zu facettenreich und unterschiedlich ausgeprägt. Bei so einer Antwort dauert es natürlich nicht lange bis ein „Ja, aber..“ als Reaktion kommt. Und das im gewissen Maße auch zu recht!

Um meine Antwort richtig zu verstehen braucht es einige Erklärungen.

Autismus an sich ist keine Behinderung die einen Menschen körperlich einschränkt. Ein Mensch mit Autismus kann also körperlich erst einmal auch alles das machen was er machen könnte wenn er nicht autistisch wäre. Gleiches gilt für die geistige Leistungsfähigkeit.

Wie kommt es dann, dass Menschen mit Autismus in ihren Möglichkeiten als „eingeschränkt“ empfunden werden?

Dazu muss man sich ein wenig mit den Auswirkungen des Autismus auf die betreffenden Menschen befassen. Natürlich schränkt der Autismus einen Menschen in dem was er zu bewerkstelligen vermag ein. Aber das hängt in erster Linie nicht vom Autismus ab, sondern von der Energie die der Autist zur Kompensation der Auswirkungen aufwendet und aufwenden kann. Um das besser erklären zu können möchte ich mich eines bildhaften Beispiels aus dem Alltag bedienen:

Ein kleiner Mensch möchte im Supermarkt einen Artikel aus einem der weiter oben liegenden Regale. Er kommt nicht heran. Nun hat er mehrere Möglichkeiten:

Er kann sich auf die Zehenspitzen stellen und so strecken das er unter Umständen selbst sein Ziel erreicht. Dies kostet Kraft und Geschicklichkeit.

Er kann aber auch einen größeren Menschen um Hilfe bitten. Das Ergebnis dürfte in beiden Fällen das gleiche sein: Die Aufgabe ist zu schaffen.

Was ist nun mit einem 200 Kilo schweren Artikel im untersten Regal? Hier kann man wohl so viel Kraft aufwenden wie man möchte, das wird ohne technische Hilfe von keinem Menschen halbwegs bewegbar sein.

Was möchte ich nun damit sagen?

Zum einen: Mit Kraftaufwand kann auch ein Autist sehr viel kompensieren. Es ist nicht die Frage nach dem Autismus sondern die Frage nach der dem Menschen zu Verfügung stehender Energie die bestimmt was man leisten kann. Und hier unterscheiden wir uns, im Prinzip, nicht von Nichtautisten. Hier wird es allerdings gefährlich! Bitte verfallt nicht dem Irrtum zu sagen: Dann sollen sie sich doch einfach anstrengen! Jeder Mensch, und da ist es egal ob Autist oder nicht, wird das ihm mögliche geben, um sein Leben führen zu können. Gerade Autisten investieren viel Energie in Aufgaben die ihnen das Leben stellt. Und viele gehen darüber hinaus und beißen sich auch noch in Situationen durch in denen andere längst aufgegeben hätten. Ein „Stell Dich nicht so an!“ oder „Dann musst Du Dich da eben mal durchbeißen!“ ist definitiv fehl am Platze. Die Kompensation braucht viel Kraft und irgendwann ist diese eben aufgebraucht. Und das ist der Punkt an dem Menschen mit Autismus evtl. anfangen Dinge nicht bewältigen zu können die andere Menschen machen könnten. Es ist aber nicht der Autismus der sie einschränkt, sondern der Kraftaufwand der zu leisten ist und die Menge der Kraft die dem Menschen mit Autismus dafür zur Verfügung steht! Wieder ein Punkt der uns nicht wirklich von Nichtautisten unterscheidet. Auch diese kommen an die Grenzen ihrer Energie und Kraft, sie verwenden sie nur für andere Dinge!

Des Weiteren: Wenn man einen Menschen unterstützt, ihn ergänzt und ihm hilft kann er auch Aufgaben erledigen die über seine Möglichkeiten hinaus gehen! Was können wir hieraus mitnehmen? Unterstützt Menschen mit Autismus und sie werden Dinge erreichen die man ihnen, aufgrund falscher Annahmen, vorher nicht zugetraut hätte! Und das alleine weil sie ihre Energien anders und evtl. gezielter einsetzen können!

Zu guter Letzt: Menschen mit Autismus sind keine Superhelden. Verlangt also bitte nichts Unmenschliches von Ihnen was man auch selbst nicht schaffen könnte! Jeder Mensch hat Grenzen, das ist bei Autisten wie auch Nichtautisten so.

Ich möchte dieses Special mit einem persönlichen Rückblick auf mein letztes autistisches Jahr beschließen. Es hat lange gebraucht bis ich mich wirklich intensiv und tiefgehend mit meinem Leben als Autist beschäftigt habe. Bis ich gewisse Dinge hinterfragt und überlegt habe wie man Autismus jemandem beschreiben kann der eben kein Autist ist. Anfangs gesteuert vor allem von Frust über Behörden, Vorurteile und jeder Menge wahnwitziger Probleme habe ich angefangen über Autismus zu schreiben. Ich hätte nie gedacht, dass meine Beiträge auch andere Menschen berühren und bewegen können. Und das ich eigentlich offene Türen damit einrenne. Ein, wie ich finde, sehr positives Ergebnis meiner „Schreiberei“. Meine Beiträge haben aber auch etwas bei mir bewirkt: Ich reflektiere ganz intensiv über meinen persönlichen Autismus. Und im Rahmen dessen habe ich zwei, für mich sehr wichtige Erkenntnisse, geschlossen:

Zum einen: Was die Probleme durch die Behinderung „Autismus“ angeht: Wir teilen sehr viele mit anderen Behinderten! Vielen geht es ähnlich wenn es um die Reaktionen der Gesellschaft und die Probleme im alltäglichen Leben geht! Kurzum: Wir sind nicht allein!

Zum anderen: Vieles betrifft auch Nichtautisten. Nur auf einem anderen Niveau. Manche Belastungen sind eben so stark, dass der Körper z.B. mit einem Overload oder Meltdown reagiert. Was nicht heißt, dass Nichtautisten nicht auch in diesen Zustand kommen können. Es passiert nur extrem seltener bei Ihnen. Auch hier wieder: Der Unterschied zwischen Autisten und Nichtautisten ist nicht so groß wie man beiläufig denken möchte! Was mir die Hoffnung bringt:

Wenn die Gesellschaft merkt, dass wir ihnen ähnlicher sind als man auf den ersten Blick glaubt, hält man uns vielleicht irgendwann nicht mehr für Aliens! Denn: Fremdes macht einem Angst, Vertrautes akzeptiert man!

Das ist mein persönliches Ziel für den Welt-Autismustag und das kommende Jahr: Nicht Autismus nur als Begriff bekannt machen und auch nicht um Akzeptanz betteln. Das ist nicht nachhaltig genug! Nein: Aufklären und damit ein nachhaltiges Bewusstsein dafür schaffen, dass wir auch nur Menschen sind und man keine Angst vor uns haben muss. Denn: Im Kern sind wir uns alle ähnlicher als man auf den ersten Blick meint!