Immer wieder ist in den Medien und auch in Fachpublikationen von „mildem“ und von „schwerem“ Autismus zu lesen. Sabine Kiefner hat sich in ihrem Blog vor kurzem mit der Frage „Gibt es sie, eine milde Form von Autisms?“ auseinandergesetzt und betrachtet die Thematik anhand der möglichen Bedeutungen des Wortes „milde“. Entstanden ist ein wirklich toller Blogpost der mit Sprache und Worten spielt.
Als Asperger-Autist ärgere ich mich auch immer wieder wenn mir eine „milde“ Autismusform unterstellt wird. Die Fragen die sich mir dann immer stellen sind: Was ist mild? Und wer definiert mild? Fragen denen ich nachfolgend einmal auf den Grund gehen möchte!
Mild, Schwach oder einfach nur unsichtbar?
Betrachtet man Autismus als Spektrum – und nur so kann man Autismus eigentlich sehen – wird man wie bei jedem Spektrum zwei Extreme mit unendlich vielen Zwischenzuständen vorfinden. Es liegt also nahe, ich möchte fast sagen es ist menschlich, zumindest den Extremen eine Bezeichnung zu geben. So ist es wohl auch mit der Thematik Autismus: Das eine Extrem sind die „milden“ Ausprägungen, das andere die „schweren Formen“. Wir haben also nun eine Bezeichnung der Extreme. Was bleibt sind die unendlichen Schattierungen zwischen diesen. Dass es schwer ist zwischen den Extremen abzustufen erkennt man alleine schon daran, dass in der Vorstellungswelt der Gesellschaft eigentlich nur diese beiden Pole existieren. Man denkt bei Autismus entweder an den „Nerd“ oder eben an das Modell „Rain Man“. Für mich jedoch ist ein Spektrum eine Bandbreite an gleichwertigen Positionen innerhalb eines definierten Raumes. Und dieses Bild impliziert eben auch das zwischen den Extremen eine Vielzahl an Varianten existiert. Geht man noch ein wenig weiter befindet sich das Spektrum ständig in Bewegung. Genauer gesagt: Nichts ist fix in diesem Spektrum. Und damit sind wir schon beim ersten Kritikpunkt von mildem und schwerem Autismus: Autismus ist nichts fixes. Ein Autist kann, je nachdem wie er sich fühlt, wie es ihm geht, in welcher Situation er sich befindet und wie gut er diese kompensieren kann auf diesem Autismusspektrum gleiten. Es gibt Tage da tendiert man eher zu „mild“ und eben auch Tage in denen man zu gar nichts fähig ist. Kann das noch ein „milder“ Autismus sein? Ich denke nicht. Zieht man also in Betracht das Autismus durchaus variabel sein kann, ist eine fixe Einteilung wie „milder Autismus“ nicht erklärbar.
Außen, Innen oder was nun?
Eine wichtige Frage wäre: Woran wird denn nun festgelegt was milde und was schwer ist? Zum einen kann man das sicher an der konkreten Diagnose festmachen. Asperger Autisten sind die milden, Kanner Autisten die schwereren und Autisten mit geistiger Behinderung die ganz schweren und atypische Autisten die nicht einsortierbaren Fälle. Nur kann und darf man es sich so leicht machen? Die Änderung der medizinischen Klassifizierungssysteme zeigt den Weg: Es wird in Zukunft wahrscheinlich keine unterschiedlichen Diagnosen mehr geben. Es gibt nur noch die Autismus-Spektrum-Störung und dann hört die Unterscheidung im medizinischen Sinne auch schon auf. Im Sinne der Betrachtungsweise von Autismus als Spektrum ist das sicherlich zuträglich, wie sich das auf die Inklusions- und Aufklärungsbemühungen auswirkt muss sich zeigen.
Wenn unterschiedliche Diagnosen nun als Indikator für die schwere von Autismus wegfallen was bleibt dann noch? Es ist wohl die Außenwirkung die Autisten auf andere Menschen haben. Gemessen wird diese Außenwirkung dann wohl auch an dem allgemeinen Bild das die Gesellschaft von Autismus hat: Rain Man! Um es einfach zu machen: Bist Du ein „Rain Man“ hast Du schweren Autismus! Bist Du aktiv, kommunikativ und wohlmöglich noch berufstätig kann es ja nicht so schlimm sein und damit ist man ein milder Autist. Alles eben halb so wild!? Um zu verstehen was Autismus bedeutet, wie Autismus sich im „nichtautistischen“ Alltag auswirkt und welche Belastungen und Probleme wirklich auftreten ist im Außenbild nicht zu erkennen. Um aber in einen Autisten reinzuschauen braucht es Aufklärung, Hintergrundinformationen, Verständnis und wohl jede Menge Empathie. Solange Autisten aber nur nach ihrem Auftreten und der Außenwirkung beurteilt und klassifiziert werden ist eine zutreffende und sehr persönliche Verortung innerhalb des Spektrums von Dritten nicht möglich. Autismus muss man ganzheitlich betrachten!
Du, er, sie, es? Oder doch ich?
Kommen wir zu dem für mich wichtigsten Punkt bei der Frage: Wer definiert eigentlich mild?
Kann „es“ es? Können Klassifikationssysteme und Diagnostik beurteilen wie schwer mein Autismus ist? Nein. Sie können mir nur in eine der vorgegebenen Schubladen stecken. Diese sind, das möchte ich zumindest unterstellen, möglichst sorgfältig und genau erstellt und differenziert. Aber abschließend beurteilen kann kein System der Welt wie es mir geht!
Kann er es? Können Ärzte oder andere außenstehende Fachleute beurteilen wo wir uns jeweils auf dem Spektrum befinden? Sie können ein Gefühl dafür bekommen wie es einem Autisten geht. Ausgehend von der Diagnostik können Sie sicherlich, wenn sie sich denn für Autismus interessieren, eine Richtung vorgeben. Es ist eben der menschliche Faktor der aus einer Diagnoseschublade schon ein erweitertes Spektrum macht!
Können Sie es? Meine Leser werden mich in den meisten Fällen nicht persönlich kennen. Sie kennen nur das was ich über mich und meinen Autismus preis gebe. Damit kennen sie mich und meinen Autismus schon sehr intensiv. Intensiver als wohl jeder Arzt oder Fachmann der meine Texte nicht liest. Ist es Ihnen möglich zu beurteilen ob ich nun milden oder doch nicht so milden Autismus habe? Ich denke nicht und ich vermute auch dass keiner meiner Leser das ernsthaft beurteilen möchte!
Was bleibt? Kann ich es? Eine schwere Frage die ich mir da gerade selber stelle. Ich kann es nicht immer. Es ist nämlich nicht immer leicht zu spüren und zu fühlen wie es mir geht. Mittlerweile merke ich schneller wenn ich mich überfordert habe und kann mich dann rechtzeitig zurücknehmen. Aber zu jeder Zeit und genau auf den Punkt kann ich nicht sagen ob mich mein Autismus nun mehr oder weniger behindert, ob ich nun mehr oder weniger Probleme habe. Und auch nicht ob mein Autismus mir evtl. gerade sehr zum Vorteil gereicht! Wenn ich selbst schon manchmal kaum beurteilen kann wie es um meinen Autismus steht: Wer soll es dann können? Was ich damit ausdrücken möchte: Eigentlich haben nur den Autisten selber das Recht zu sagen: Mein Autismus ist mild. Oder eben: mein Autismus belastet mich schwer! Denn nur sie kennen die Auswirkungen und nur sie können ganzheitlich beurteilen wie es ihnen geht. Empfindungen sind eben sehr individuell, so wie es auch jeder Autist ist.
Zum Abschluss eine kleine Geschichte aus meinem Leben:
Bei einem Berlinbesuch vor vielen Jahren sind meine Freundin und ich abends zu einem Asiaten Essen gegangen. Die Speisekarte wies dabei auch die Schärfe der Speisen aus. Es gab Speisen ohne Kommentar, scharfe und sehr scharfe Gerichte. Ich entschied mich für ein Gericht mit süßer Sojasoße und ohne Schärfeangabe. Wenn es scharf wäre hätte es ja dabei gestanden. Dachte ich zumindest. Es kam wie es kommen musste: Das Essen war lecker und mein Getränkekonsum enorm. Die Zunge brannte und ich hatte mir jedem Atemzug Angst meine Freundin die mir gegenüber saß in Flammen zu setzen. Der Kellner kam an den Tisch und fragte ob alles in Ordnung sei. Mir liefen die Tränen, ich bestellte nuschelnd ein Wasser und meinte noch „seh schaaaaaf“. Der Kellner grinste, ging zum Familientisch und murmelte zu den dort sitzenden Asiaten nur: Sehr Scharf!
Was lernen wir daraus? Was für die einen normal gewürzt ist für andere schon seh schaaaaaf! Und so ist das eben auch mit dem Autismus. Für die einen ist er mild, für die anderen sehr belastend. Ich wünsche mir dass die Gesellschaft eben diesen individuellen Eindruck und die Selbsteinschätzung bei Autismus auch wie selbstverständlich akzeptiert. Bei dem Schärfegrad von Essen sagt ja auch keiner: Das ist mild! Basta!
Ich stimme dir in deiner Ausführung zu, bin aber immer noch sehr hin- und hergerissen. „Mild“ und „extrem“ richtet sich in beiden Fällen eher an den „Anwender“ als an den Betroffenen. Ich als Konsument bestelle eine milde oder sehr scharfe Speise, wobei das persönliche Geschmacksempfinden natürlich höchst subjektiv ist. Nichtsdestotrotz kann ich mich seelisch darauf einstellen, ob ich eher etwas Mildes oder Scharfes bekomme. (Es sei denn, etwas wurde falsch ausgezeichnet.) Die Konsequenzen sind im milden Spektrum geringer als im scharfen. Wenn ich etwas mildes anstelle von etwas scharfem bekomme, bin ich schlimmstenfalls enttäuscht. Andersherum muss ich womöglich weinen und ruiniere mir über Tage die Geschmacksnerven.
Genauso verhält es sich mit Autismus. Wenn ich weiß, dass jemand „nur“ eine milde Form des Autismus (was auch immer das genau sein mag) hat, spreche ich ihn anders/eher an als jemanden, von dem ich weiß, dass er eine extreme Ausprägung hat.
Du sagst ja selbst, dass es nicht DEN Autismus gebe. Aber ich bezweifle, dass du möchtest, dass jedes Individuum erst einmal zu einem Experimentierkasten wird, damit der „Anwender“ die Ausprägung des Autismus für sich ausloten kann, anstatt schon eine ungefähre Richtung zu kennen.
Selbstredend sind „mild“ und „extrem“ nicht wissenschaftlich fundiert, sollten also keine Richtlinien für Therapien und ärztliche Pauschalbefunde sein.
Was ich mit meinem Blogpost so eingentlich sagen wollte war: Nur der Autist selber kann wirklich sagen wie milde oder eben scharf (schwer) sein Autismus ist. Ich persönliche finde diese Einteilung von Außenstehenden nicht gut. Sie können und sollten sicher ein subjektives Bild des Autismus der betreffenden Person haben, aber was nicht geschehen darf ist das dieses subjektive Bild verwendet wird um einen Autisten in eine Schublade zu stecken in der er auch zu bleiben hat. Das kann nicht sein.
Ich habe verstanden, was gemeint ist. Dennoch frage ich mich an der Stelle: Wie kann denn ein Autist sicher beurteilen, ob er selbst „mild“ oder „scharf“ ist, wenn er sich genauso wenig in andere Autisten (die widerum auch ihren „Schärfegrad“ bestimmen müssten) oder Nicht-Autisten (möglicher Schärfegrad 0?) reinfühlen kann? Und welchen Sinn hat eine Selbsteinordnung? (Nur weil ich mich als „attraktiv“ bezeichne, bedeutet das ja nicht, dass andere Menschen mich darunter verbuchen.)
Es liegt in der Natur der Sache, dass man die Welt aus seiner eigenen Warte beurteilt, man sich selbst als Maß der Dinge nimmt. Und dieses ist immer relativ zu anderen.
Aber es stimmt: Die Attribute sollten nicht dazu dienen, in eine feste Schublade gesteckt zu werden. (Wobei ich denke, dass das auch ganz unabhängig von Worten geschieht.)
Guter Text! Ich glaube, wichtiger als die Schubladisierung eines Zustands innerhalb eines Spektrums müsste der „Leidensdruck“ sein.
Der Leidensdruck sollte bei Autismus-Therapien/-Unterstützung/-Diskussionen der Aufhänger sein, nicht die Definition in „mild“ oder „schaaaf“. Bei anderen Störungen und Erkrankungen wird das auch gemacht – kein Arzt käme auf die Idee, einen Gichtschub als „milde Form des Rheumas“ einzustufen, nur weil er anders als andere Formen sporadisch statt dauerhaft auftritt. Dem Patienten ist’s auch egal, er hat JETZT Schmerzen wie blöde und will JETZT angemessen behandelt werden. Leidensdruck groß = „ist schlimm“, fertig.
Das Schubladendenken ist leider auch unter Betroffenen weit verbreitet. Als herauskam, dass die neue Fassung des DSM bei den Diagnosen für Asperger/Autismus einen Kahlschlag plant und es einfach „Entwicklungsstörungen im Autismus-Spektrum“ nennen will, protestierten einige US-amerikanische Asperger-Autismus-Gruppierungen und -Verbände: Sie wollten nicht in einen Topf mit „Rain Man“ oder gar mehrfachbehinderten Autisten geworfen werden. Wenn die Inklusion anderer „Stammesangehörigen“ bereits bei manchen Betroffenen ein Problem darstellt, wird es in der Öffentlichkeit nicht einfacher sein.
Du hast Recht: Leidensdruck ist sicher eine gute Alternative. Das passt sehr gut zum „auf dem Spektrum gleiten“.
Tja, die einen wollen nicht zu „Rain Man“ in den Topf, die anderen möchte nicht das Asperger und die „leichten Autisten“ das Bild des „schweren Autismus“ aufweichen. Das ist eben das Problem bei einem sehr weiten Spektrum. Die einen sind mit den Klischees der anderen belastet. Und das eben auf beiden Seiten.
Da gibts noch viel Arbeit zu leisten! Auch in der Toleranz untereinander!
Nicht überall wo „unscharf“ drauf steht, ist auch „unscharf“ drin.
Ich sollte also tunlichst darauf achten, was ich zu mir nehme, und wer mir gegenüber sitzt…
Das gilt natürlich für beide Seiten.
Ich finde es vor allem kompliziert, dass das Spektrum (zumindest in meiner Vorstellung) nicht einfach linear ist, sondern ziemlich viele Dimensionen hat. Ich würde mich tendenziell schon als „leichter betroffen“ einordnen (das Wort „mild“ finde ich in dem Zusammenhang irgendwie doof), aber dennoch gibt es Leute, die ich insgesamt als stärker betroffen ansehe, die aber trotzdem in einzelnen Bereichen weniger Probleme haben als ich.
Wobei ich „leicht“ und „stark“ auch nicht unbedingt an der Diagnose festmache, sondern eher an den Schwierigkeiten im Alltag. Nachdem ich so halbwegs klarkomme und auch „unauffällig genug“ war, um erst mit Mitte 20 eine Diagnose zu bekommen (einzelne „Ausreißerphasen“ mal ausgenommen, die aber nicht zu einer zielführenden Diagnostik führten), denke ich, dass ich eher leicht betroffen bin – verglichen z.B. mit Menschen, die zu 100% erwerbsunfähig sind, trotz durchschnittlicher Intelligenz und abgeschlossenem Studium. Nichtsdestotrotz habe ich diverse Probleme und möchte jetzt auch nochmal eine Therapie angehen, um hoffentlich ein paar Strategien zu lernen, wie ich im Alltag besser klarkommen kann.
Zu: „Die Änderung der medizinischen Klassifizierungssysteme zeigt den Weg: Es wird in Zukunft wahrscheinlich keine unterschiedlichen Diagnosen mehr geben. Es gibt nur noch die Autismus-Spektrum-Störung und dann hört die Unterscheidung im medizinischen Sinne auch schon auf. Im Sinne der Betrachtungsweise von Autismus als Spektrum ist das sicherlich zuträglich, wie sich das auf die Inklusions- und Aufklärungsbemühungen auswirkt muss sich zeigen.“
Es sind aber drei verschiedene Schweregrade vorgesehen:
http://asperger.blogspot.de/2012/12/1-diagnose-11-diagnosekriterien.html
Was jetzt „mild“ genannt wird, heißt dann möglicherweise „Schweregrad 1“ . Ob das eine wirkliche Verbesserung ist, muss sich zeigen.
Bleibt die Frage: wer kann und darf definieren wie schwer das eine oder andere Symptom dann sind? Wer berücksichtigt das eine evtl. kompensation von Defiziten Energien bindet die an anderer Stelle dann fehlen.
Das ist alles leider sehr vage 🙁
[…] Was mich persönlich gestört hat, war die Aussage der Psychologin Asperger sei eine milde Form von Autismus. Was ich von “mild” und “scharf” halte kann man hier nachlesen. […]
[…] mal schwer […]
Vielen Dank für diesen Blogeintrag. Ich könnte es wirklich nicht besser ausdrücken was du schreibst. Wieso sollte ein Diagnostiker, der einen nur kurz kennengelernt hat, in eine Schubladen stecken und entscheiden dürfen wie schwer oder mild der Autismus ist? Nicht alles ist so wie es nach außen hin wirkt. Und so kann auch jemand, der weniger auffällig ist, trotzdem sehr unter den Symptomen leiden.
[…] Einmal Autismus bitte. Mild oder schön Scharf? […]
Das haben Sie sehr gut herausgearbeitet. Mir geht das auch tierisch auf die Nerven. Ob bei der ADHS oder bei Asperger-Problematik. Egal worüber man mit anderen Leuten spricht oder sogar in Konflikt kommt, weil es eben nicht rund läuft.
Es wird immer ein willkürlicher Maßstab herrischer Bestimmtheit genommen und mit dieser Fremdbestimmung meines Zustandes meinen Aussenstehende beurteilen zu können, das ich eh nicht so stark betroffen sei und das alles nicht so schlimm sein kann.
Das ist teilweise ja richtig, aber es geht um viele Faktoren, die den Umgang mit der Störung erleichtern. Das ist wie bei den NTs eben auch abgestuft. Wer als Kind früh diagnostiziert wurde, hat bessere Chancen, wer in einem bildungsaffinen Umfeld aufwuchs, hat mehr Möglichkeiten. Wer in wirtschaftlich guter Versorgung aufwuchs, ebenfalls. Wer intelligenter ist, hat ebenso mehr Möglichkeiten, überhaupt korrellieren Autismussymptome wohl sehr stark mit der Intelligenz und diese ermöglicht dann auch in gewisser Art das mögliche Anpassungsniveau. Aber eben nicht nur. Es kann auch andere Einflüsse geben. Zusätzliche Störungen, wie die häufig gemeinsam auftretende ADHS, Angststörungen etc. können den Umgang mit den eigentlichen Einschränkungen potenzieren!
Ich schätze mich so ein, das ich ohne ADHS einer von denen wäre, der mit seiner Aspergerstörung vielleicht hätte umgehen lernen können, aber mit dieser Störung zusammen kann man trotz hoher Intelligenz, Spezialinteresse soziale Themen, Psychologie, Soziologie und Religion es eben nicht schaffen. Da wird man dermaßen ausgebremst, weil man in dem Widerspruch zwischen der Reizsucht und Reizflucht lebt, zwischen der radikalen Ordnungssucht und dem Hang zur Unordnung, zwischen der Neigung zur Hemmung bei gleichzeitiger Neigung zur Impulsivität bzw. Enthemmung. Es ist als wäre man zwischen beiden Schwerpunkten eingesperrt. Da hilft es einem gar nichts, das man klug genug ist, alles richtig zu erfassen, wenn man durch diese Störungsmuster ständig blockiert ist. Noch schlimmer ist, das man bei allen möglichen Prüfverfahren schnell mal durchs Raster fällt. Obwohl ein großer Bedarf für externe Hilfen da ist, fällt es nicht auf. Die beiden charakterstereotypischen Störungen heben sich gegenseitig auf – So schaut es mild aus, ist aber wirklich extrem schwer auszuhalten. Nicht alleine weil man ja nach aussen hin nicht erfolgreich ist, nichts sozial gebacken bekommt, Nein auch und insbesondere weil man sich Selbst innerlich nicht in einen funktionalen Zustand bringen kann, den wir Asperger ja so mögen. Funktionalität hat einen hohen Stellenwert, aber alles was bei der Mischung von ADHS und Asperger heraus kommt ist eine sehr spezielle Dysfunktionalität, die für systematische Therapieansätze kaum Erfolgspotentiale bietet. Alles ist Chaos obwohl die Sehnsucht und die eigentliche Selbst-Charakterisierung das Gegenteil davon ist. Kann das irgendwer überhaupt nachvollziehen?
Die meisten NTs, die sich anmaßen über die Störung leicht, mittel, schwer, aber auch die Therapeuten und Ärzte, die glauben diese Kompetenzen zu besitzen, haben doch nicht mal wirklich einen Schimmer davon, was es heißt, nicht zu einer konsistenten Selbststeurung in der Lage zu sein, geschweige denn was es heißt völlig aus jeder Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein – selbst dann wenn man explizit eingeladen ist! Es gibt das familiäre, das Gemeinschaftsgefühl für unsereins nicht, um das alle Nts so ein gigantisches Gescheiß machen. Ganz im Gegenteil ist das (mir jedenfalls) zutiefst suspekt und fremdartig sich Selbst-Entgrenzt in eine Gruppe bzw. Gemeinschaft zu begeben.
Was ich meine: Wie weit selbst jemand mit milden sichtbaren Symptomen – vielleicht ist das der bessere, korrektere Begriff bzw. Ausdruck dafür – von der gesellschaftlichen Normalität Entfernt ist und wie stark der Leidensdruck ist, das kann ein Aussenstehender gar nicht richtig einschätzen – Gerade weil es uns ein ganzes Leben kostet diese Welt der NTs wirklich zu erfassen und zu verstehen. Selbst dann wenn man mit bestimmten Antennen und Talenten dafür ausgestattet ist.
Vielleicht lebt man in diesem Zustand in einem ständigen Overload, das ist das was mir jetzt aufgefallen ist, da ich meinen Text noch mal lese.
MFG
Dein Text ist sehr gut geschrieben und beschrieben…Küstennebel
[…] milder betroffenen (zum milden Autismus und warum es Blödsinn ist, gibt es unter anderem Texte von Aleksander Knauerhase und der Bloggerin Butterblumenland) Asperger Autisten wurde immer unterstellt, dass sie das Leid […]