Es gibt Situationen da gehen mir, oftmals nach einem Gespräch, Erlebnisse und Erfahrungen aus meiner Kindheit, nicht mehr aus dem Kopf. Das kennt wohl jeder: Man schleppt so einige Felsbrocken mit sich herum und hadert dann doch das eine oder andere Mal mit Dingen, die einem im Leben passiert sind. Wie man am Titel dieses Blogposts erkennen kann: Mir ist die (Regel)schule passiert! Rückblickend gesehen kam es mir wohl zu Gute, dass ich damals noch keine Autismusdiagnose hatte. Wer weiß, wie grausam meine Schulzeit dann ausgefallen wäre. Aber auch ohne Diagnose spielte mir der Schulalltag doch so manches Mal böse mit. Und eben weil es mir aktuell nicht aus dem Kopf gehen möchte, werde ich nun darüber schreiben. In der Hoffnung, dass ich zum einen endlich mal mit dem Mist abschließen kann, zum anderen, dass vielleicht der ein oder andere Lehrer sich das Erlebte zu Herzen nimmt und versucht, es bei seinen Schülern und Autisten besser zu machen. Eine Warnung vorweg: Es sind meine ganz persönlichen und natürlich auch subjektiven Eindrücke, die ich hier niederschreibe. Und es sind jene, die mich besonders negativ geprägt haben. Ein größerer Themenblock über Schule ist geplant und dort wird es natürlich auch wieder konstruktiv und positiv zugehen.

Die Zeichen der doppelten Naturwissenschaften

Ich weiß nicht woran es liegt, aber irgendwie hatte ich in meiner Schulzeit häufiger mal Probleme mit Lehrerinnen, die kleiner waren als ich. Und ich bin eigentlich schon ein Schrumpfgermane. So auch in meinen, mehr oder weniger freiwillig gewählten, doppelten Naturwissenschaften. Da ich meine Mittelstufe auf einer integrierten Gesamtschule absolviert habe, durften so einige Fächer gewählt werden. Französisch, das werdet Ihr gleich lesen, war nicht so mein Ding und so kam es mir nur zu gelegen, dass ich dieses unleidliche Fach für die Klasse 9 und 10 abwählen konnte. Als Gegenleistung dafür wurden mir Chemie, Biologie und Physik quasi doppelt aufgebrummt. Ich hatte zwei Jahre lang die Naturwissenschaften also zweifach, und natürlich, wie sollte es anders sein, immer bei zwei unterschiedlichen Lehrern. Oder eben Lehrerinnen. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, hat sich ein Bild wohl am stärksten eingebrannt: Eine wirklich kleine Lehrerin, die sich hinter einem, für naturwissenschaftlichen Unterricht typischen, „Lehrer-Experiment-Tisch“ aufbaut, die Fäuste aufstampft, mich von unten anschaut und danach anscheißt. Ich weiß gar nicht mehr, was damals der Auslöser dafür war, aber dieses Bild geht mir nicht aus dem Kopf. Mittlerweile kann ich darüber nur schmunzeln, damals war es für mich sehr verwirrend. Dieses Aufbäumen, der Anschiss der folgte, einfach diese ganze Situation. Und irgendwie war genau diese Situation wohl bezeichnend für die zwei Jahre, die ich da durchleben musste. War ich in den „normalen“ Naturwissenschaften bei anderen Lehrern immer im oberen Notenbereich, so war ich bei dem Ersatzunterricht unter den zwei schlechtesten Schülern. Am Wissen kann es nicht gelegen haben. Und eigentlich hätten mir diese Ersatzstunden gut tun müssen, wir waren nur 9 Schüler! Chancen hatte ich keine. Egal was ich machte, es wurde von der Lehrerin verlacht, in den Dreck gezogen oder gar ignoriert. Beispiel gefällig? Wir bekamen zu einer Stunde ein Pflanzenbestimmungsbuch in die Hand gedrückt und gingen damit auf den Schulhof. Wir sollten eine Pflanze bestimmen. Alle blätterten lustlos herum. So gab uns die Lehrerin einen Tipp: diese Pflanze/die Beeren sind sehr Vitamin C reich. Da wusste ich sofort was es war: Sanddorn. Es war wirklich Sanddorn…nur hatte ich es eben gewusst und nicht nachgeschlagen. Setzen 6!

Faul rumsitzen und andere Komplimente

Vielleicht fragen sich nun einige, warum ich mir diesen doppelten Naturwissenschaftlichen Stress angetan habe. Die Antwort ist sehr einfach: Französisch war für mich ein einziger Horror! Dummerweise war ich im ersten Halbjahr Französisch sehr lange krank. An einen Anschluss an die Klasse war nicht wirklich zu denken. Und so kam es wie es kommen musste: Ich verstand nicht, was Frau Lehrerin da von mir wollte und so war der Lerneffekt auch gleich 0. Was mich aber nachhaltig wirklich getroffen und verletzt hat, war der Umgang der Lehrerin mit dieser Situation. An Unterstützung war nicht zu denken, nein. Sie ließ ihren Frust an mir aus. So flogen mir dann im Unterricht schon mal solche Sätze wie „Sitz nicht so faul herum!“ und wesentlich Schlimmeres um die Ohren. Kurz gefasst: Sie griff mich vor der Klasse an, stempelte mich ab und gab mir das Gefühl ein Sprachversager zu sein. Mir ging das so zu Herzen, dass ich irgendwann, ich wusste die Lösungen ja sowieso nicht, bei einer Klassenarbeit jeden einzelnen Satz, den sie mir an den Kopf geworfen hat, auf das Lösungsblatt geschrieben habe. Insgeheim in der Hoffnung, dass sie mal merkt wie verletzend sowas sein kann. Ergebnis? Schlechte Note und ein „netter“ knallroter Kommentar: Schön! Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung! Hätte die gute Frau F. nur selbst mal diesen ersten Schritt getan und etwas Einsicht gezeigt!

Statistisch gesehen unmöglich!

Aber nicht nur die Sprachen waren schwer für mich. Auch wenn man wohl vielen Autisten nachsagt sie haben eine besondere mathematische Begabung, bei mir war das wohl eher nicht so. Oder waren es doch die Lehrer? Für alle, die das System einer Integrierten Gesamtschule nicht kennen: Es gibt dort ab Klasse 7 ein dreistufiges Lehrsystem. A Kurse ( Gymnasialniveau), B Kurse ( Realschulniveau) und C Kurse (Hauptschulniveau). Anfangs war ich in jedem Fach im A Kurs Bereich. Mathe fiel mir leicht, viele Lösungen wusste ich einfach ohne groß zu rechnen. Und das war leider mein „Fehler“. Ohne Lösungsweg sind Prüfungsaufgaben nämlich nicht gelöst. Und wenn der Lösungsweg von dem abweicht, den man gelernt hat, ist das auch mehr als kriminell. Schließlich kann es ja nicht sein, dass ein Schüler einen Lösungsweg entwickelt, den der Lehrer entweder nicht versteht oder nicht gelehrt hat. Ich wiederum hatte einfach keine Lust etwas mühsam niederzuschreiben, was für mich klar und einfach war. Warum muss ich einen Lösungsweg mühsam konstruieren, wenn ich die Lösung doch wusste? Mir leuchtete das nicht ein. Und wenn ich mir dann einen Lösungsweg gebastelt habe, konnte der Lehrer ihn, betrachtet man die roten Kommentare unter den Klassenarbeiten, nicht nachvollziehen. Mathe wurde zum massiven Stress für mich. Meine Mathekarriere an dieser Schule war besiegelt: Ich musste in einen sogenannten Stützkurs. In diesen Kursen wurde von einem anderen Lehrer ermittelt ob man nun im oberen Kurs bleiben durfte oder einen Kurs absteigen musste. Für mich war der erste Stützkurs ein Weltuntergang! Ich verstand die Welt nicht mehr. Da sich der Mathelehrer weigerte mich im A Kurs zu behalten ging ich also irgendwann in den B Kurs. Und was passierte? Ich stieg umgehend von einer 5 auf eine 1. Und das lag sicher nicht an einem vermeintlich leichteren Stoff. Parallel dazu bescheinigte der A Kurs Lehrer meiner Mutter: Ihr Sohn wird den Hauptschulabschluss nicht schaffen! Meine Mutter nahm es gelassen, ich war tief getroffen! Das Ende dieser Geschichte: Ich weigerte mich wieder in den A Kurs zu gehen, obwohl ich den Noten nach wieder dahin gemusst hätte. Und Jahre später machte ich mein Abitur. Dumm gelaufen Herr A.!

Abitur? Haha!

Irgendwann in der Klasse 10 sollten und mussten sich die Schüler ja entscheiden wie es im schulischen Leben weitergehen sollte. Die einen gingen ab, die anderen auf ein weiterführendes Gymnasium. Ein solches war im Nachbarort und da viele dahin gehen wollten, wurde ein geschlossener Klassenbesuch zu diesem Gymnasium gemacht. Man konnte einem Lehrer dort Fragen stellen und sich die Schule anschauen. Ich hatte mich mittlerweile eigentlich dazu entschlossen Abitur zu machen. Keine Ahnung, was mich damals geritten hat, aber ich nahm meinen Mut zusammen und stellte eine für mich wichtige Frage:

Darf ich bei Ihnen Abitur machen, auch wenn ich nur 2 Jahre lang eine zweite Fremdsprache gemacht habe? Habe ja Ersatzkurse dafür belegt.

Die Antwort war, man kann es anhand der Überschrift erahnen: Ein lautes Lachen. Nein, das ginge nicht, man müsste in Hessen schon mindestens 4 Jahre eine zweite Fremdsprache erlernt haben, um Abitur machen zu dürfen. Um ehrlich zu sein: Ich verstand die Welt nicht mehr. War das, was ich durchlitten hatte wirklich so lachhaft? War es peinlich eine Frage zu stellen, die einem derart wichtig war? Anscheinend. Meine Motivation, Abitur zu machen sank unter den Nullpunkt und mein Selbstwertgefühl, das noch spärlich vorhanden war, schwamm gerade den kleinen Bach hinunter, der unsere kleine Ortschaft durchquert. Alleine dass mich ein Lehrer für mein Bestreben Abitur zu machen auslachte, war kränkend ohne Ende. Es kann nicht schlimmer kommen? Leider kann es das doch:

Die Kunst der Pädagogik

Wenn mich jemand nach meinen schlimmsten und demütigensten Schulerlebnissen fragt, wird er welche aus dem Kunstunterricht zu hören bekommen. Ich könnte wahrscheinlich ein halbes Buch über Kunst, den Unterricht und Frau O. schreiben. Viele mögen es vielleicht als übertrieben ansehen, aber damals habe ich es als extrem demütigend und erniedrigend empfunden, was mir passiert ist. Heute würde ich sagen: Pädagogik? Setzen 6 Frau O.!

Wie soll ich nur beschreiben, wie so eine Unterrichtsstunde bei uns ablief? Am Anfang wurde erklärt, was wir zu malen haben und mit welcher Technik. Und wers nicht verstanden hat hatte Pech gehabt. Dann durften wir einige Wochen lang brav und still dort sitzen und eben das Meisterwerk erschaffen, das von uns verlangt wurde. Erklärungen? Gabs keine! Hilfen? „Habe es doch erklärt!“ Gute Noten für mich? Niemals. Einer der Gründe: Irgendwann durften die Mitschüler, besonders die Mitschülerinnen und noch präziser die in der Klasse, die mich nicht leiden konnten, meine Note bestimmen. Es wurden die Bilder hochgehalten und gesagt, von wem sie sind. Beliebter Schüler : 1, schlimmsten Falles eine 2. Ich und andere unbeliebte Außenseiter : Höchstens eine 4. Demokratie deluxe!

Ich glaube, ich brauche nicht zu erwähnen, dass ein solcher Unterricht und eine derartige Notenvergabe einem jeden Mut raubt, sich wirklich anzustrengen. So kam es dann, dass ich, wie alle anderen Schüler auch, beim „arbeiten“ plauderte. Das passte der Frau Lehrerin nicht, Schwupps wurde ich isoliert und Abseits von anderen gesetzt. Aber auch das konnte man noch steigern, zumindest Frau O. konnte das. Ich verbrachte so einige Stunden in einem, an den Kunstraum angeschlossenen, Materialraum. Ganz alleine. Und eingeschlossen. Ich hatte es zeitweise nämlich mal gewagt aus meiner Haft rauszukommen und eine Frage zu stellen. Damals war es noch seltsam für mich. Immerhin konnte ich durch eine Glasscheibe einer anderen Klasse beim Werkunterricht zuschauen. Heute ist es mir ein Graus. Was wäre gewesen, wenn es gebrannt hätte? Angenehm waren die Gerüche in dem Materialraum auch nicht. Bilder, die trockneten, Werkstücke, die ausdampften und noch viel mehr. Hab ich schon erwähnt, dass besagte Frau O. mir das Abgangszeugnis vermasseln wollte? Täuschungsversuch. Ich gebe zu: Es war einer. Ich bezeichne es heute noch als Notwehr. Die einzige Kunstklausur die ich in meinem Leben geschrieben habe bekam übrigens die Note 1. So schlecht kann mein Farbverständnis also eigentlich nicht gewesen sein.

Was aus mir wurde

So war also der größte Teil meiner Schulzeit. Ich wurde von Lehrern beschimpft, ausgegrenzt, eingesperrt und ausgelacht. Heute möchte ich ihnen am liebsten ins Gesicht sagen:

Ich bin Autist und DAS habt Ihr mir angetan! Die Verletzungen sitzen tief! Und das bis zum heutigen Tage! Aber was würde es bringen? Wahrscheinlich nichts.

So greife ich genau zum Gegenteil und sage:

Trotz der ganzen Quälerei und Demütigungen habe ich es geschafft mein Abitur zu machen, eine Ausbildung mit 1,8 beendet und mein Studium mit der Note „sehr gut“ abgeschlossen. Ihr habt mich gezeichnet aber Ihr habt es nicht geschafft mich zu zerbrechen! ÄTSCH!

Wer sich, trotz sehr sorgfältiger Anonymisierung oder Nichtnennung wieder erkennt: Nehmt es Euch mal zu Herzen! Ich werde es wohl nie vergessen was Ihr mit mir gemacht habt! Mich hingegen habt Ihr wohl schon vergessen da hatte ich mein Abgangszeugnis noch nicht in den Händen!

Update 08.01.2013

Es waren übrigens die ganz wenigen guten Lehrer die mich durch diese bescheidene Zeit gebracht haben. Die Lehrer die mich gefördert haben, mir den Weg gezeigt haben wie ich doch Abitur machen kann und nicht mit mir überfordert waren. Diese Menschen haben mich auch nicht vergessen und freuen sich immer wieder wenn ich mich mal melde! Von ganzem Herzen: Danke!

Weil es in einem Punkt wohl zu Missverständnissen gekommen ist: Ich wollte mit meinem Blogpost nicht ausdrücken das die beschriebenen Situationen nur auf Autismus zurückzuführen oder für Autismus typisch sind. Es sind meine persönlichen Erlebnisse aus meiner Schulzeit.