Sprache in Verbindung mit Autismus mag auf den ersten Blick viele, die vom Bild eines Raymond aus dem Film „Rain Man“ geprägt sind, erstaunen und auch verwirren. Aber wenn man sich näher mit der Thematik Autismus beschäftigt wird man mehr Verbindungen zwischen Sprache und Autismus als nur sprechende Autisten finden.

Sprache kann etwas wundervolles sein. Sie kann neue Welten beim Leser oder Hörer erzeugen, sie transportiert Emotionen, tiefe Gefühle und vermag andere Menschen zu verzaubern und ihr Leben zu bereichern. Und auch Autismus kann das! Die autistische Wahrnehmung erzeugt eine andere Sicht auf die Welt in der wir zusammen leben, wenn man sie annimmt und nicht stigmatisiert ist sie eine Bereicherung die man nutzen kann und sollte. Da Menschen mit Autismus Probleme mit dem Erkennen von Emotionen und dem „lesen“ von Mimik haben, glauben viele Menschen dass sie auch nicht fähig sind Gefühle zu empfinden. Wie kurzsichtig! Wenn man sich, wie mit Sprache auch, sich die Zeit nimmt auf den Autismus einzulassen und sich ihm zu öffnen wird man wundervolle Momente erleben können! Eltern mit autistischen Kindern wissen was ich meine wenn ich schreibe: Die kleinen Momente sind das Zauberhafte!

Sprache kann aber nicht nur wundervoll sondern auch hart und verletzend sein! In Zeiten in denen „Inklusion“ und „Gleichberechtigung“ großgeschrieben werden wird immer noch unbedacht mit Sprache umgegangen. Um das Dilemma verstehen zu können muss man mal einen Blick in den Duden werfen. Dort steht:

„Autismus der; (griech) (Med.: [krankhafte] Ichbezogenheit, Kontaktunfähigkeit); autistisch“

Das große Fremdwörterbuch aus selbiger Reihe schreibt dazu:

„Autismus der;  bes. bei schizoiden u. schizophrenen Personen vorkommende psychische Störung, die sich in krankhafter Ichbezogenheit u. affektiver Teilnahmelosigkeit, Verlust des Umweltkontaktes u. Flucht in die eigene Fantasiewelt äußert; Insichgekehrtheit. Autist der; -en , -en: jmd. der an Autismus leidet. Autistisch : a) den Autismus betreffend; b) an Autismus leidend“

Beides aus Ausgaben entnommen die aus diesem Jahrhundert stammen! Betrachtet man nun diese, für die deutsche Sprache hochoffizielle und verbindliche, Bedeutung von Autismus ist nicht verwunderlich wenn in sprachorientierten Arbeitsbereichen wie der Journalismus und die Politik Autismus fleißig dem reinen Wortsinn nach verwendet wird. So wird einem politischen Gegner gerne mal „politischer Autismus“ unterstellt, ein Bürgermeister verhält sich wie ein Autist in Belangen seiner Entscheidungsbefugnisse und ganze Regierungen bestehen aus Autisten. Was damit explizit gesagt werden soll ist klar (muss man ja nur im Duden nachschlagen), implizit ist die inflationäre Verwendung von Autismus als Diskreditierungswerkzeug für „Gegner“ eine Katastrophe. Eine Katastrophe über die sich diejenigen die Autismus derart verwenden nicht einmal im Klaren sind. Viele kennen eben nur die Wortbedeutung, nicht alle die Behinderung und ich wage zu behaupten: Keiner weiß wirklich was Autismus bedeutet! Fehler macht jeder und so versuche ich, wann immer mir so etwas zu Ohren kommt, die betreffenden Personen über Ihren Fehler aufzuklären. Ich versuche zu erklären dass die Wortverwendung zwar inhaltlich „korrekt“ ist, aber dass bitte bewusster mit Sprache umgegangen werden soll. Eben auch weil eine Behinderung hinter diesem Wort steckt. Aus welchem Grund auch immer, ich kann nur darüber spekulieren, werden solche Gesprächsangebote und Handreichungen ausgeschlagen bzw. ignoriert. Und damit wird der von mir angestrebte Dialog zu einem traurigen Monolog. Der inflationäre Gebrauch hat in meinen Augen zwei ernsthafte Folgen: Zum einen wird es normal andere Menschen als Autist zu beschimpfen. Autismus wird negativ belegt. Keiner kann mir erzählen, dass „Autist“ ein Kompliment ist!

Zum anderen verkennt man damit massiv die Situation der Autisten! Wie kann man einen, vielleicht engstirnigen oder einfach nur sehr linientreuen, Politiker mit einem Menschen mit Autismus gleichstellen?  Autismus ist weder Engstirnigkeit noch bewusster Trotz! Die meisten Autisten wären wohl froh wenn es so wäre…dann könnten sie nämlich an ihrer Situation aktiv etwas verändern wenn sie denn wollten!

Wenn man sich mit Sprache beschäftigt kommt man irgendwann zu einem wichtigen Punkt: „Für jemanden sprechen!“ Auch hier gibt es, leider, eine starke Verbindung zum Autismus. Auch im Jahre 2011 ist es noch an der Tagesordnung das nichtautistische Menschen sich die Freiheit herausnehmen für Autisten oder für den „Autismus“ zu sprechen. Ich meine hier nicht die persönlichen Einzelfälle z.B. von nichtsprechenden Autisten und ihren Angehörigen. Es geht mir hier um große Organisationen die sich im Bereich Autismus engagieren. Leider bestehen diese immer noch fast ausschließlich aus nichtautistischen Menschen. Wie können diese für Autisten oder, sehr abstrakt, für Autismus sprechen wenn sie nicht selbst wissen was Autismus bedeutet? Ja, sie können im besten Fall über Erfahrungen reden wie es ist Angehöriger zu sein! Das sei ihnen auch zugestanden. Aber was Autismus bedeutet, wie Autisten fühlen, was Autisten brauchen: Das wird ihnen immer verschlossen bleiben. Denn eines ist klar: Solange nichtautistische Menschen im Namen von Autisten sprechen wird man einem Menschen mit Autismus nicht zuhören! Hier würde ich mir eine gesunde Mischung wünschen! Wie auch bei der Wahrnehmung und dem Leben: Die Vielfalt machts!

Zum Ende dieses Beitrages möchte ich einen Bogen schlagen. Auch ich schreibe hier nicht im „Namen“ DER Autisten. Denn das kann niemand! Ich schreibe über mich, was ich denke und wie ich die Welt erlebe. Ich bin mir aber sicher, dass meine Sprache mich mit anderen Autisten verbindet und ich sie nutzen kann um das auszusprechen was andere gerne sagen würden aber dazu nicht in der Lage sind. Wenn ich es also schaffe anderen Autisten aus dem Herzen zu sprechen ist ein kleiner aber wichtiger Schritt für mich getan: Autismus hat eine, sehr individuelle und facettenreiche, Sprache!