Wenn es in unserer Gesellschaft um das Thema Behinderung geht dauert es oftmals nicht lange bis wir beim Thema „Leid“ ankommen. Das kann dann viele Facetten haben. Entweder wird davon ausgegangen dass Menschen mit Behinderung darunter leiden behindert zu sein, andere wiederum „leiden“ fast schon offensiv. Ziel ist, in vielen Fällen, das Mitleid. Die einen haben es an Stellen wo es nicht gebraucht wird, die anderen möchten es warum auch immer haben.

Knackpunkt bei der ganzen „Leidensgeschichte“ ist doch folgender:  Dort wo wirklich „Leid“ vorhanden ist wird es oftmals nicht ernstgenommen weil eben zu viel gelitten wird. Leid wird zum Alltag. Und das kann verheerende Folgen haben.

Kleines Beispiel gefällig?

Es gibt Autisten die leiden nicht öffentlich. Sie beschweren sich nicht, sie jammern nicht und das obwohl es ihnen sicher nicht immer gut geht. Wenn sie dann doch mal massive Probleme haben wird das erst einmal abgetan. Man lebt ja sonst „ganz normal“ dann kann das ja alles nicht so schlimm sein mit dem Autismus. Schlimmer noch: Eben weil man nicht dauerhaft leidet wird einem doch so manches Mal die Diagnose in Frage gestellt. Wenn man Autist wäre würde es einem auch schlechter gehen.

Damit kommen wir zur anderen Seite: Menschen die darauf angewiesen sind Autismus als besonders schwer, tragisch und schlimm darzustellen. Nicht einmal unbedingt weil sie das selbst wollen, sondern weil es schon notwendig geworden ist um bestimmte Hilfsangebote zu bekommen.  Und anstelle das man an einem Strang zieht haut man dann noch auf diejenigen Autisten verbal ein die eben nicht alles negativ sehen. Denn deren Bild von Autismus macht es schwer öffentlich zu „leiden“.

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte. Eine Mitte die man nur schwer finden kann weil die Fälle wo Autismus als verstärkendes Argument benutzt bzw. missbraucht wird, immer mehr zunehmen. Ich möchte hier wieder zwei Beispiele nennen.

Fall 1: Eine Autistin hat einen Begleithund der ihr nachweisbar gut tut und hilft den Alltag zu bewältigen. Dieser ist schon alt und es ist abzusehen das dieser Hund nicht mehr lange als Begleithund fungieren kann. Die Autistin versucht alles um einen Begleithund finanziert und genehmigt zu bekommen. Sie startet dann eine Petition für einen Begleithund und erntet viel Unterstützung.

Fall 2: Eine Mutter startet für ihren autistischen Sohn eine Spendenaktion. Sie möchte ihm ein Therapiepferd finanzieren. Das Tier soll gekauft werden, die Mutter schreibt dazu, dass sie Arbeitslos ist. Sie verschickt den Hinweis zur Spendenaktion ohne weitere Kommentare an Stiftungen, Prominente und auch an User die mal was zu Autismus getwittert haben.

Auf den ersten Blick: Zwei Fälle von Autismus in denen mit einem Tier geholfen werden soll. Das Tiere autistischen Menschen gut tun können, davon bin ich selbst sehr überzeugt. Wenn man den einen Fall unterstützt so sollte das beim anderen ja kaum anders liegen?

War der erste Fall für mich klar unterstützungswürdig bin ich bei Fall 2 doch sehr skeptisch. Ich weiß dass Pferdehaltung sehr teuer ist, und wer ein Tier zu Therapiezwecken anschafft sollte für dieses Tier auch ein Leben lang sorgen können. So fragte ich bei der Mutter nach: Anschaffungskosten über Spenden finanzieren ist ja ok, aber was ist mit dem Unterhalt? Darüber stand nämlich nichts im Spendenaufruf. Als Antwort kam ein knappes „ich bin selbst erwachsen und weiß was ich tue. Die Unterbringung wäre kostenlos“. Ok. Und was ist mit Tierarzt, Schmied und Co? Da wurde die Mutter dann schon pampig. Hatte ich einen wunden Punkt erwischt? Oder waren Nachfragen einfach nicht erwünscht? Es bleibt ein ganz fader Nachgeschmack. Ein Nachgeschmack dass die Mutter entweder nicht gut über ihr Vorhaben nachgedacht hat. Darunter würden dann Pferd und Junge schnell leiden. Das Pferd weil es nicht versorgt werden kann und der Junge weil er sich irgendwann, eher früher als später, vom Tier wieder trennen müsste. Sollte die Mutter dann nicht froh sein, wenn man diese Fragen aufwirft? Zumal ein gekauftes Pferd nicht automatisch zum Therapiepferd wird. An ein Therapiepferd werden hohe Anforderungen gestellt und wenn man es richtig macht braucht es eine Ausbildung. Und die wiederum kostet. Dazu kommt: Ein Therapiepferd ohne Therapeut macht ebenfalls wenig Sinn. Kommentar einer mir nahe stehenden Pferdebesitzerin: Man hätte auch einfach schreiben können: Schenkt mir einen Delphin, Aquarium vorhanden!

Die andere Alternative ist, dass die Mutter schlichtweg die Behinderung des Kindes ausnutzt und in den Vordergrund schiebt um Spenden zu sammeln. Autismus = Viel Leid = hoffentlich viel Mitleid = Geld.

Traurig sowas. Jetzt ist mein Blogpost fast schon zum „hate“ und „rant“ geworden. Aber ich gebe offen zu: Mich regt sowas auf. Ich unterstütze gerne solche Anliegen wie in Fall 1 in denen es darum geht einen Autisten zu unterstützen, ihm Rückhalt zu geben und zu versuchen etwas für ihn zu erreichen. Und genau diese Menschen haben es umso schwerer je mehr Spendenaufrufe und „Leidfälle“  es rund um Behinderungen gibt. Wer nämlich einmal auf vorgeschobenes Lied reingefallen ist macht es sich umso schwerer den echten Fällen zu helfen.

Wie gut mit einer Behinderung „Kasse“ gemacht werden kann zeigen die vielen aggressiven Bettler in der Innenstadt. Ich bin noch nie derart angebettelt worden wie letzte Woche in der Fußgängerzone von Wiesbaden. Am aggressivsten waren die Menschen mit einer sichtbaren Behinderung.

Ich helfe gerne, aber wenn jemand versucht bei mir  mit einer Behinderung „Mitleid“ zu erhaschen werde ich ganz schnell sehr böse. Diejenigen die am lautesten Schreien sind oft diejenigen die am wenigsten Hilfe brauchen.