Kürzlich war der Welt-Autismustag der UN. Ein Tag der das Verständnis für Autismus und die Aufklärung über diese Behinderung fördern soll. Nun ist es in der heutigen Gesellschaft so: Was in den Massenmedien nicht stattfindet, wird nicht wahrgenommen und existiert deswegen faktisch nicht. So auch im letzten Jahr: Nur wenige, bevorzugt öffentlich rechtliche, Medien haben den  Welt-Autismustag überhaupt erwähnt. In der regionalen Tageszeitung hier vor Ort war diesbezüglich nichts zu finden, im Radio liefen Beiträge zum nationalen Kinder- und Jugendbuchtag. Auf Nachfragen ob denn etwas zum Thema Autismus geplant sei bekam ich nie eine Antwort. Ein Grund mehr für mich, neben meinem zum Welt-Autismustag geschriebenen Beitrag, einen Beitrag dieser Thematik zu widmen.

Im englischen Sprachraum heißt es so schön: Es geht um „Autism Awareness“. Wie unterschiedlich das Verständnis alleine darüber sein kann musste ich vor einigen Monaten erfahren. Generell versteht man wohl darunter, dass die Menschen wissen dass es Autismus gibt. Nicht mehr und nicht weniger. Und für dieses Ziel werden, z.B. in den USA, Millionen von US-Dollar gesammelt. Ein zweites, wohl sehr verbreitetes, Ziel. Wenn ich mir anschaue wie viele Privatpersonen versuchen für Autismus Geld zu sammeln frage ich mich: Kommt das dann auch dort an wo es gebraucht wird? Nun ist es verständlich, dass viele mehr fordern. Es reicht nicht aus, dass die Menschen wissen dass es Autismus gibt. Es werden erste Rufe nach „Verständnis für Autismus“ laut oder kurz „Awareness is not enough!“. Genau an diesem Punkt fiel mir auf, dass ich unter Awareness wohl etwas ganz anderes verstanden habe. Ich fragte nämlich nach und bestand darauf, dass der nächste Schritt nach Awareness doch eigentlich das „Verständnis für Autisten“ sei. Meiner Meinung nach war es zu profan unter „Autism Awareness“ nur die Kenntnis um die Existenz von Autismus zu verbinden. Was nützt es wenn die Menschen wissen, dass es Autismus gibt wenn sie nicht wissen was Autismus ist?

Um es anders zu beschreiben: Stellt man sich das als Treppe vor die von totaler Unwissenheit hin zur Inklusion von Autisten in die Gesellschaft geht so hat diese mehrere Stufen. Es fängt damit an, dass man weiß, dass es Autismus gibt. Danach kommt das Wissen über Autismus. Gefolgt vom Verständnis was Autismus bedeutet und dem Verständnis für Autisten das letztendlich in einer Inklusion in die Gesellschaft endet.  Es ist an sich vollkommen logisch jede Stufe einzeln zu gehen und Schritt für Schritt das Ziel, die Inklusion, zu erreichen. Wäre es aber nicht effizienter wenn man mehrere Stufen auf einmal nimmt? Warum erst allen Menschen sagen: „Hey es gibt Autismus!“, sie danach aber mit dieser Information recht alleine zu lassen und irgendwann von vorne zu beginnen: „Also Du weißt das es Autismus gibt, nun erkläre ich Dir was es ist“. Es ist sowieso schon sehr schwer, und da sind wir wieder bei der medialen Verbreitung zum Welt-Autismustag, die Menschen flächendeckend zu erreichen. Wenn man sie erreicht sollte man diese Chance doch nutzen und die Information direkt mit Wissen verbinden. Damit umgeht man das Risiko, dass man zum einen die Personen nur einmal, aber kein zweites Mal erreicht, und zum anderen das man zwar Interesse weckt dies aber nicht für die Sache „Autismus“ nutzt. Das Interesse an unbekannten Themen ist bei den meisten schnell verschwunden, der zuerst gemachte Schritt verliert an Wirkung und ist eigentlich ein halber Schritt zurück. Egal wie man nun „Autism Awareness“ definiert und sieht, eine Gemeinsamkeit bleibt:  Sie ist nur ein Schritt auf dem Weg zur Inklusion.

Ein wenig überrascht war ich von der Reaktion einiger Autisten auf den Welt-Autismustag. Ich machte mich dafür stark, dass Autisten etwas zu diesem Tag beitragen und über Autismus reden bzw. schreiben sollten. Konfrontiert wurde ich dann mit zwei Argumenten die aus der Richtung des Autistic Pride kommen:

Der Welt-Autismustag ist kein Tag von Autisten sondern über Autismus. Die Menschen würden in den Hintergrund gestellt, es sei ein Image- und Rechtfertigungstag für Angehörige, Verbände und Organisationen. Dem kann ich nur eingeschränkt zustimmen. Natürlich treten an einem solchen Tag mehr Verbände, Organisationen und Vereine in den Vordergrund. Ich denke aber das liegt in der Natur der Sache an einem Informationstag. Ein Welt-Thementag soll ja nicht etwas feiern, sondern auf etwas aufmerksam machen und ein Bewusstsein schaffen. Es ist aber auch an den Autisten sich eine Stimme zu verschaffen und diesen Tag dafür zu nutzen auf sich aufmerksam zu machen! In den Schoß gelegt bekommt man sicher nichts, dafür muss man kämpfen und sich engagieren! Es sei angemerkt, dass auf dem 3. Autismustag der dieses Jahr in Potsdam stattfand sehr viele Autisten selbst zu Wort gekommen sind. Es ist also nicht alles so triste und fremdgelenkt wie manch ein Autist das empfindet.

Ein weiteres Argument war: Der Welt-Autismustag wird erst seit 2008 begangen, es gibt aber schon einen Autistic pride Day (18.06) der seit 2005 von Autisten „gefeiert“ wird. Es sei ein Affront der UN gegen die Autisten das man den Welt-Autismustag nicht auf den 18.6. gelegt habe. Und man bräuchte keine zwei Autismustage. Meine Antwort hierauf war recht knapp: Zum einen identifiziert sich nicht jeder Autist mit der Autistic Pride Bewegung, zum anderen: Wenn man zwei Tage hat um auf Autismus aufmerksam zu machen schadet das jemandem? Ich sage es nochmal: Es liegt an den Autisten sich eine Stimme zu verschaffen und diese Tage mit Inhalten und Botschaften zu füllen!

Zum Autistic Pride kann man stehen wie man möchte, ich persönlich bin kein Freund dieser Bewegung. Das hat, mal wieder, mehrere Gründe. Zum einen ist mir die Definition des Ganzen zu wage. Sie geht von einem in meinen Augen noch unterstützenswerten „Autismus ins Bewusstsein rufen und Autisten inkludieren“  bis hin zu „Wir sind stolz darauf Autisten zu sein!“. Ich frage mich da persönlich immer wieder: Wie kann man auf etwas stolz sein für das man selbst nichts getan hat? Autismus ist keine Leistung!  Nicht zu Letzt wird, gerade aus der Autistic Pride Bewegung heraus, Autismus als etwas Besonderes dargestellt das die Gesellschaft wertschätzen soll. Ich kann zwar den Gedanken dahinter verstehen, es ist immer gut auch positive Seiten zu erwähnen und sie vor allem als Gewinn in die Gesellschaft einzubringen. Das ist aber Aufgabe eines jeden einzelnen Autisten. Pauschal kann man dies nicht, und solche Forderungen nach Wertschätzungen werden gerne von Nichtautisten, als ein Zeichen verstanden, dass Autisten etwas Besseres sind bzw. sich für etwas Besseres halten. Das ist jedoch ein falsches Signal, es wirkt der Inklusion entgegen weil man durch eine Wertung von Autismus automatisch auch die Nichtautisten wertet. Man muss sich fragen: Sind es immer die Nichtautisten die einen Autisten ausgrenzen oder sind es nicht oft die Autisten selbst die sich ausgrenzen indem sie sich von den anderen abheben?

Was mich zu einem letzten Punkt bringt den ich in diesem Beitrag ansprechen möchte. Viele fordern Autismus als eine „Art zu sein“ zu sehen und zu akzeptieren. Ich habe mich lange gefragt was damit bezweckt wird, was man damit ausdrücken möchte und welcher Gedanke dahinter steht. Natürlich ist Autismus in einem gewissen Rahmen eine „Art zu sein“. In genau dem gleichen Rahmen ist es auch eine Art Nichtautist zu sein. Jeder Mensch hat seine Art und Weise zu sein, es ist der Charakter der da für mich den Ausschlag gibt. Ich könnte nun auch nicht sagen welche Eigenschaften an mir Autismus bedingt ist und welche nicht. Ich bin eben ich und das in meiner Gesamtheit! Die Problematik die ich hinter der Aussage „Autismus ist eine Art zu sein“ sehe ist folgende: Auf der einen Seite ist die Art in der man leben möchte selbstgewählt. Autismus kann man nicht wählen, man kann sich nicht bewusst mit Autismus anstecken und man hat vor allem nicht die freie Wahl zwischen Autismus und keinem. Demzufolge kann Autismus keine „Art zu leben“ sein. Zum anderen, finde ich persönlich, verkennt man damit die Lage der Autisten. Der Gedanke der dahinter stecken mag ist sicher derjenige: “Autismus ist weder pathologisch noch Behinderung!“ Wenn man dies nach außen hin vertritt muss man sich aber im Gegenzug nicht wundern wenn man dann auch Hilfen die man vielleicht braucht nicht bekommt. Warum auch wenn man nicht behindert ist? Das Tragische dabei ist: Die Gesellschaft nimmt Autismus nicht als Spektrum wahr. Sie sehen entweder die niedrigfunktionalen oder eben die hochfunktionalen Fälle. Im Endeffekt behindert das Bild der einen die anderen. Werden wir jemals eine differenzierte Mitte für alle finden?

Mein Fazit für heute ist: Aufklärung ist wichtig und dringend nötig. Man sollte sich dabei aber nicht auf eine, für mich vermeintliche, Sonderposition von Autisten stützen oder gar mit einem gewissen Beißreflex auf Toleranz und Rechte pochen wenn man selbst nicht bereit ist auch die Gesellschaft und ihre Wissensdefizite zu berücksichtigen, tolerieren und zu akzeptieren!  Inklusion ist etwas was Autisten nicht durch eine Sonderstellung oder Abgrenzung von Nichtautisten erreichen. Man muss aufeinander zugehen