Menschen mit Autismus wird oft nachgesagt, dass sie in ihrer eigenen Welt leben. Oftmals heißt es dann auch: Autisten leben in zwei Welten.

Doch ist das auch zutreffend? Ich kann an dieser Stelle nur für mich reden. Ich persönlich empfinde das nicht so. Ich habe aber sehr wohl eine andere Wahrnehmung und alleine aufgrund dessen könnte man natürlich sagen: Ich lebe in einer anderen Welt. Für mich gestaltet sich das aber noch komplexer. Ich habe nicht nur meine autistische Wahrnehmung, die ich langsam als Stärke und Bereicherung annehmen kann, ich bin auch in der glücklichen Lage so angepasst zu sein, dass ich eine fast neurotypische Wahrnehmung parallel dazu habe. Am besten stellt man sich das wie einen Filter oder eine Brille vor die aus meiner autistischen Wahrnehmung eine nichtautistische macht. Wie bei allen Filtern bleibt das Problem das nicht alles zu mir durchdringt. Eine komplett nichtautistische Wahrnehmung wird mir also immer verborgen bleiben. Wo ich nun gerade schon bei meiner Wahrnehmung bin: 35 Jahre lang war sie für mich normal. Ich kannte keine andere. Dass sie von der Wahrnehmung meiner Mitmenschen abweicht konnte ich mir nicht vorstellen (auch wenn mir klar war, dass irgendwas nicht stimmt). Genauso muss es Menschen ohne Autismus gehen: Es fällt ihnen schwer zu begreifen, dass es Menschen gibt die die Welt anders sehen. Vielleicht sind eben genau diese Unterschiede in der Wahrnehmung das große Verständnisproblem zwischen Autisten und Nichtautisten?

Mit einem Mythos möchte ich diesbezüglich übrigens gerne aufräumen: Auch wenn die „Welt“ von Autisten nicht immer für Nichtautisten erschließbar ist bedeutet das nicht, dass im Umkehrschluss Autisten keinen Zugang zu der Welt der Nichtautisten haben! Bitte liebe Nichtautisten: Bedenkt dies!

Viel schlimmer ist aber nicht das Leben in zwei Welten (um mal bei diesem Bild zu bleiben) sondern das Sitzen zwischen zwei Stühlen. Streng genommen ist es ein Sitzen zwischen zwei Mühlsteinen die einen langsam aber sicher zerreiben.

Wie immer im Leben sind Schwarz und Weiß das was wahrgenommen wird, die Vielfalt an Grautönen fällt unten durch. Und so ist es auch mit dem Autismus. Auf der einen Seite haben wir die Nichtautisten, das andere Extrem sind diejenigen Autisten die dem verbreiteten Bild von Autismus entsprechen. Ich tue mich schwer damit, aber ich möchte sie hier einmal Menschen mit „schwerem“ Autismus nennen. Und so wie man von einem autistischen Spektrum spricht gibt es eben auch eine Vielzahl Abstufungen zwischen Nichtautist und Autist. Menschen mit dem Asperger-Syndrom gehören zum Beispiel dazu. Und damit man sie von den „schweren“ Fällen von Autismus unterscheiden kann werden sie oftmals als „leichte“ Fälle bezeichnet. Und genau an diesem Punkt landet man zwischen den beidem Mühlsteinen.

Auf einem steht: „leichter Autismus“. Im Leben äußert sich das dann oftmals so, dass es heißt „Stell dich nicht an, den Autismus merkt man dir nicht an!“, oder eben „Du bist doch einfach nur etwas seltsam!“. Was hierbei verkannt wird: Auch wenn solche Autisten nach außen hin evtl. ganz oder teilweise normal wirken: Innen kann es sein, dass die Probleme die sie haben sie zerreißen! Der Kampf der hier stattfindet ist unsichtbar, die ganze Behinderung wird unsichtbar. Viele haben gelernt in einer Welt die von Nichtautisten geprägt ist eine Maske aufzusetzen um zu überleben. Und genau diese Maske verhindert, dass man ihnen ihre Probleme ansieht! Fällt die Maske bleibt das Argument: „Du hast doch nur leichten Autismus“. Eine Falle der man nicht entrinnen kann! Spätestens beim Kontakt mit Behörden wird es hier ganz brenzlig. Mit dem Verweis auf leichten Autismus landet man schnell in einer Ecke in der einem Hilfe die man dringend benötigt nicht gewährt wird.

Der andere Mühlstein nennt sich „Stereotyp Autismus“. Immer wenn jemand einen nicht persönlich kennt und der Autismus zur Sprache kommt greifen die Stereotypen die eine Vielzahl von Menschen im Kopf haben. Man fängt an Menschen mit Autismus nach dem zu beurteilen was man meint zu wissen und nicht nach der Realität. Dies führt u.a. zu solchen abstrusen Fällen, dass eine beantragte stationäre Rehamaßnahme für einen Akademiker mit der Begründung „Aufgrund des Asperger Syndroms ist der Antragsteller nicht in der Lage den Rehaanweisungen zu folgen“ abgelehnt wird. Was ist hier passiert? Der Gutachter findet in der Akte einen Hinweis auf Autismus, erinnert sich an seine Stereotypen, und schon ist man nicht rehafähig. Wohlgemerkt nur aufgrund des Vorliegens der Diagnose F84.5 !

Und das ist nur eines von vielen Beispielen in denen man aufgrund von Autismus den betreffenden Menschen weder Leistung noch Intelligenz zutraut.

Wohin führt sowas? Zum einen das man anfängt seinen Autismus runter zuspielen und damit seine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Zum anderen das hochqualifizierte Menschen, es gibt durchaus Autisten mit einem erfolgreichem Studienabschluss, mit ihrer Arbeit nicht glücklich werden. Denn entweder sie spielen ihren Autismus herunter bzw. verschweigen ihn ganz und belasten sich damit selbst unnötig, oder sie stehen zu ihrem Autismus und laufen gegen eine Wand von Vorurteilen! Das endet nur allzu oft in Hartz IV, Frührente oder gar in einer Werkstatt für behinderte Menschen.

Nun könnte man sagen: Wenn jemand derart zwischen zwei Fronten steht und genau daran kaputt geht muss man ihm helfen. Die traurige Wahrheit ist: Selbst wenn man um Hilfe schreit wird man nicht gehört! Wenn es um Benachteiligung oder gar Diskriminierung von behinderten Menschen geht möchten sich viele nicht die Finger an diesem heißen Eisen verbrennen! Nehmen wir das Beispiel des abgelehnten Rehaantrages:

Der medizinische Dienst lehnt mit einer offensichtlich diskriminierenden Stellungnahme ab. Was macht die Krankenkasse? Sie übernimmt dies! Ein Gefühl das dies diskriminierend sein könnte? Fehl am Platze!

Das Büro des Behindertenbeauftragten des zuständigen Bundeslandes versprach sich darum zu kümmern. Was passierte? Nichts!

An eine Patientenberatungsstelle gewandt: Ratschlag bekommen einen Widerspruch einzulegen. Gegen Diskriminierung kann man nichts machen.

Wie man sieht: Man wird alleine gelassen! Diskriminierung ist ein heißes Eisen das niemand anfassen möchte. Genau solange bis sie normal geworden ist und man sie nicht mehr anfassen muss!

Und das wir auf dem Weg zur „Normalität“ sind zeigt die steigende Verwendung des Begriffs „Autist“ bzw. „politischer Autismus“ von Politikern um politische Gegner anzugreifen. Wenn in der Politik Autismus schon für Herabstufungen und Anprangerungen herhalten muss ist es nicht mehr weit bis auch die Diskriminierung von Autisten zur Normalität wird! Spricht man Politiker übrigens darauf an wird aus dem, von selbigen oft geforderten und postulierten, Dialog schnell ein Monolog seitens des Autisten! Man wird überhört! Und, so zeigt die Erfahrung, das betrifft Parteien jeglicher Couleur und Richtung! Hier ist sich die Politik ausnahmsweise mal einig! Übrigens betrifft das auch die Vertreter der Presse. Autismus und Diskriminierung ist so unbequem das dieses Eisen keiner anfassen möchte. Vielleicht ist es auch zu unpopulär? Zumindest geht man auf Tauchstation.

Wenn man nicht kaputt gehen möchte, nicht Opfer der beiden Mühlsteine und vom System zerrieben werden will muss man aufstehen und sich wehren! Und genau das werde ich machen! Solange bis sich etwas tut in der Gesellschaft, bis Autismus kein Schimpfwort mehr ist sondern als Bereicherung der Vielfalt des Lebens gesehen wird und bis man sich nicht mehr davor fürchten muss Nachteile zu erleiden weil man offen zu seinem Autismus steht! Und wenn ich nur einen kleinen Schritt damit gehen kann auf diesem langen Weg: Jeder Schritt ist besser als Stillstand!