Mediale Realität ist wohl, wenn man sich morgens nicht mehr traut Medien zu konsumieren. Egal ob Fernsehen, Onlineportale oder der Printbereich: immer öfter springt mich das Wort Autismus an. Eigentlich sollte ich froh darüber sein. Führt eine mediale Aufmerksamkeit doch zu einer Sensibilisierung der Gesellschaft. Wunschdenken, leider. Die mediale Realität wirkt im Vergleich dazu – man beachte den Widerspruch der Worte – geradezu  surreal.

Fakt ist mittlerweile, dass Autismus entweder als sog. „Aufreißer“ oder als sinnentfremdeter Platzhalter für pseudointellektuellen Inhalt herhalten muss. Den neusten Aufreger, zumindest was Autismus und dessen sprachliche Verwendung in den Medien betrifft, hat sich die Wochenzeitung „Zeit“ geleistet. In der gerade aktuellen Ausgabe 08/13 hat es der Autismus sogar auf Seite 1 geschafft.

Titel: Atomtests „Ihr könnt uns mal“

Wenn ich gemein wäre, und ja manchmal bin ich es, wäre meine ersten Fragen wohl: „Was können wir? „ und „Wem können wir dieses Was?“ und „Wer ist überhaupt „Ihr“ und „uns“?

Die erste Frage die sich mir nach dem Lesen des ersten Absatzes stellte war jedoch: „Was hat Autismus in aller Welt schon wieder verbrochen um mit Atomtests in Verbindung gebracht zu werden?“

Zum besseren Verständnis die angesprochene Textstelle als Zitat:

Kim Jong Un provoziert mit dem dritten Nuklearversuch seines Landes nicht nur den Erzfeind Amerika; er fordert auch China heraus, den letzten Verbündeten, dessen Geduld allein das autistische Regime in Pjöngjang sein unverdientes Überleben verdankt.

Alleine wegen diesem einzelnen Satz könnte ich wohl schon eine ganze Packung Blutdrucksenker vertilgen! Wie kann ein Regime autistisch sein? Das würde streng genommen nur dann zutreffen, wenn ein Diktator selbst Autist wäre. Soweit ich das überblicken kann ist Kim Jong Un kein diagnostizierter Autist. Das würde aber, selbst wenn es so wäre, wohl auch kaum publik. Kurzum: Spekulation und damit nicht bewiesen. Autismus hat an dieser Stelle also wenig zu suchen.  Das „unverdiente Überleben“ beziehe ich mal ausschließlich auf das Regime und nicht das vorangestellte Attribut autistisch. Alleine schon um mich nicht weiter aufzuregen.

Liest man ein wenig weiter stößt man auf den einzigen, dafür aber fettgedruckten, Zwischentitel dieses Artikels:

Autismus und Hybris – der kalkulierte Wahnsinn bleibt in der Familie

Ich gebe offen zu: Hybris musste ich in der genauen Bedeutung auch erst einmal nachschlagen. Autismus und Wahnsinn hingegen waren mir schon bekannt.

Für alle denen es auch so geht: Hybris kommt aus dem griechischen und steht für Übermut und Anmaßung.

Um den Zwischentitel, der zweifelsohne die Leser zum weiterlesen  bringen soll, zu verstehen muss man eben dieses machen: Weiterlesen.  Eine dreiviertel Spalte später kommt der Autor dann auch zum Punkt:

Autismus und Hybris – diese gemeingefährliche Mixtur bleibt die binäre Waffe, mit der schon Vater und Großvater Schrecken verbreiteten und Hilfe erpressten. Anders gesagt: Der kalkulierte Wahnsinn bleibt in der Familie.

Zur Hybris, etwas das in der Mythologie mit der Götter Zorn bestraft wurde, kommt also auch Autismus dazu. Kombiniert ist es eine „gemeingefährliche Mixtur“ und eine „binäre Waffe“.  Autismus wird, auch wenn nicht direkt dann doch zumindest implizit, als gemeingefährlich und als Waffe bezeichnet. Immerhin ist die „Mixtur“ eine binäre Waffe. Grobgesagt also etwas, dass sich aus zwei Zuständen zusammensetzt!

Beschäftige ich mich erst einmal mit der Bezeichnung Autismus als Waffe. Waffen sind Gegenstände die dazu geschaffen wurden ein Lebewesen physisch oder psychisch zu beinträchtigen, zu verletzen oder zu töten. Zum einen: Autismus ist nicht künstlich geschaffen. Autismus ist natürlich! Zum anderen: Autismus verletzt oder tötet niemanden! Autismus kann auch von niemandem dazu verwendet werden jemand anderem zu schaden! Davon abgesehen: Würde man eine Grippe (Autismus ist im Gegensatz zur Grippe keine Krankheit!) als Waffe bezeichnen nur weil jedes Jahr Menschen daran sterben? Eher nicht.

Was mich noch extremer stört ist die Betitelung „gemeingefährlich“.  Eine Definition von gemeingefährlich kann man u.a. bei Wikipedia finden:

 Als gemeingefährlich werden im Rechtsjargon Handlungen und Situationen bezeichnet, die eine Gefahr nicht nur für einzelne bestimmte Personen, sondern für die Allgemeinheit darstellen.

Eine Handlung ist dann gemeingefährlich, wenn der Täter sie im Einzelfall nicht sicher zu beherrschen vermag und sie geeignet ist, Leib und Leben mehrerer Menschen zu gefährden.

Sind Autisten bzw. deren Handlungen nun, weil sie „Autismus haben“ , eine Gefahr für die Allgemeinheit? Gefährden wir Leib und Leben mehrerer anderer Menschen mit dem was wir tun?

Ein weiterer Zusatz ist bei Wikipedia zu finden:

Die Verwahrungsgesetze der deutschen Bundesländer regeln die Anstaltsunterbringung gemeingefährlicher Personen, d. h. solcher, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Das Verfahren bestimmen §§ 70 ff. FGG.

Ich hoffe spätestens hier gruselt es jeden meiner Leser! Anders gesagt: Wenn wir pauschal gemeingefährlich wären, wären die Anstalten in Deutschland wohl sehr voll!

Pikante Zwischennote, und das bringt mich auch wieder zur „Waffe“:

 Gemeingefährliche Mittel sind in Deutschland ein qualifizierendes Merkmal bei Mord (§ 211 StGB Abs. 2).

Um es klar zu sagen: Autisten sind keine potentiellen Mörder nur weil sie Autisten sind! Wir sind weder Waffen noch gemeingefährlich, unberechenbar oder  in einer Anstalt zu verwahren!

Aber gehen wir weiter im Text des Zeitartikels:

Autismus wurde, nach Sicht des Autoren, dazu verwendet um Schrecken zu verbreiten und Hilfe zu erpressen.

Vielen Dank! Hilfe ist einem Autisten sicher immer willkommen. Erpressung nicht. Und Schrecken verbreiten? Nun, sagen wir es mal so: Mir wäre manchmal ganz Recht wenn ich Schrecken unter Journalisten verbreiten könnte die Autismus sinnver- und -entfremdet verwenden! Das gehört sich nämlich nicht!

Bleibt noch der Zusatz das Autismus ein Teil eines kalkulierten Wahnsinns ist.

Lieber Herr Nass: Auch für Sie nochmals der Hinweis, dass Autismus mit Wahnsinn oder Unzurechnungsfähigkeit nichts zu tun hat. Null, Nada, Nichts! GARNICHTS!

Wenn es nicht so traurig wäre würde ich wohl nun schreiben:

Ihr könnt uns mal!

Angesichts dieser schon extremen sprachlichen Verknüpfung von Autismus mit Waffen, Gemeingefährlichkeit, Straftaten und Wahnsinn kann ich das leider nicht.

Dabei wäre es so einfach das Wort Autismus nicht seiner Bedeutung zu entreißen und einfach das zu schreiben was man ausdrücken möchte: Das Regime in Nordkorea ist engstirnig, trägt Scheuklappen und kann und möchte nicht über die Ländergrenzen hinaus schauen. Aber das ist wohl nicht intellektuell genug ausgedrückt, oder?

Ich schließe dann doch mit den Worten:

Sie können uns mal…

akzeptieren, respektieren und achten. Wir sind  Menschen und weder ein rhetorisches noch sprachliches Stilmittel!

Sie können sich mal…

den Gefallen tun und den Pressekodex nachlesen. Was Sie da geschrieben haben könnte in einigen Punkten sehr grenzwertig gewesen sein.

Sie können sich mal…

auf die journalistische Ehre besinnen und aufhören Worte sinnentfremdet zu verwenden. Damit verwässert die deutsche Sprache nämlich! Und das kann nicht im Sinne derjenigen sein die mit dieser arbeiten.

Sie können sich mal…

Überlegen ob es manchmal nicht besser ist einfach das zu schreiben was man auch ausdrücken möchte. Manchmal ist es besser nicht intellektuell klingen zu wollen und einfach Klartext zu schreiben.